Auf dem Landweg nach New York - Etappe 2 - Teil VI

Waghalsig ist geprahlt


Es ist nun schon eine Weile her, da der letzte Bericht online ging, und fast habe ich ein schlechtes Gewissen deswegen. Andererseits habe ich ja angekündigt, dass es von nun an notgedrungen etwas sporadischer werden wird, da die leavinghomefunktion – Leute sich jetzt in Gebieten befinden, in denen eben nicht überall W-Lan und Telefonempfang als Kommunikationsmittel zur Verfügung steht, kleinere Dörfer und größere Städte in weitem Abstand zueinander liegen und Internet- Cafés eher eine Seltenheit sind. Unvorstellbar beinahe, für uns Mitteleuropäer, nicht alle drei Minuten zum Smartphone zu greifen, um der ohnehin eher desinteressierten Gemeinde zu zeigen, was es gerade zum Mittag zu Essen gab, oder aktuelle Bilder des Stubentigers hochzuladen, die sich angeblich keiner ansieht, aber gefühlte 70% der User posten. Anyway, ich schweife ab.

Während wir die hochsommerliche Urlaubszeit zwischen Hitzerekord und Unwetter am Strand, in der Natur, im Schrebergarten und auf Balkonien verbringen, oder uns scheckig ärgern, weil die vierzehn Tage Freiheit mal wieder viel zu schnell vorbei gingen, fahren sich unsere fünf Freunde weiter in die Verzweiflung, die eine Konsequenz unendlich vieler Defekte und notwendiger Reparaturen ist. Lese ich die Notizen, die ich eben per Mail bekam, entsteht schnell der Eindruck, dass „Fahren“ kaum noch das richtige Wort ist, denn in jedem zweiten Abschnitt steht irgend ein neues technisches Defizit, das behoben werden muss.

Natürlich ist das Quatsch und freilich wird mehr gefahren, als repariert, aber es muss schon frustrierend sein, nicht einfach mal drei, vier, fünf Tage ohne Zwangsstopp auf dem russischen Traktor auf drei Rädern zu sitzen, den Fahrtwind zu genießen, die Landschaft zu genießen, das Vorankommen zu genießen, ohne die tickende Warnung im Hinterkopf, dass der Zeitplan wackelt.

Wir erinnern uns: beinahe auf die Minute erreichen die Fünf das Zwischenziel Grenze Russland – Kasachstan. Die Freude ist groß, denn keiner kennt dieses Land wirklich, die Landschaft ändert sich von jetzt auf gleich und die ersten Kamele kreuzen den Weg.


Es wäre inzwischen nicht mehr das leavinghomefunktion – Projekt, wenn alles reibungslos abliefe und wenn es nicht ein horribler Defekt wäre, der den Tross zum Anhalten zwingt, dann sind es andere Gründe. Naturgewalten zum Beispiel oder anfängliche Desorientierung auf einer neuen Etappe. Beides gleichzeitig kann auch vorkommen. Und es kommt vor. „Hier gibt es nicht nur eine Straße, sondern ein riesiges Labyrinth von Feldwegen.“ – beschreibt man die ersten Kilometer in dem europäisch – zentralasiatischen Binnenland zwischen dem Altai-Gebirge und dem Kaspischen Meer.

Und wo Feldwege sind und Regennässe, da ist auch Schlamm. Und wo Schlamm ist, besteht die Gefahr, sich festzufahren. Und Kaupo tut, was im Grunde klischeehaft zu einem solchen Trip gehört und noch unzählige Male passieren wird. Aber die Fünf wissen das, sind vorbereitet und so vergeht nicht all zu viel Zeit, den sprichwörtlichen Karren aus dem Dreck zu ziehen und sich aufzumachen nach Zabürün`e, einer kleinen Siedlung direkt am Kaspischen Meer, wo jeder Ural – Motorrad fährt. Hier wird das Vehikel sogar zum Angeln benutzt, denn man fährt damit direkt ins Wasser.


Und wo jeder Ural fährt, warten natürlich auch eine Menge Ersatzteile auf ihre solidarische Umlagerung. Sogar im Sand vergraben lassen sich kleine Schätze in Form von brauchbarem Material entdecken.

In kleinen Läden finden sich, direkt neben Zahnpasta und Waschmittel, Zylinderköpfe, Ventile, Bautenzüge und allerhand anderer notwendiger Kleinkram, womit sich das Team hocherfreut eindeckt, denn die nächsten Verschleiße kommen bestimmt.

Die Nacht“ – schreiben die Fünf „verbringen wir im Windschutz eines ausrangierten Holzbootes am Strand.“

Die Ural sollte, laut Konzept des Projektes, als Kommunikationsmittel dienen und dieses Vorhaben erweist sich immer wieder als weise Voraussicht einer vagen Hoffnung. Denn es gelingt auch hier in Kasachstan. Fünf junge, mutige Abenteuer aus Estland, Zypern und Deutschland auf fünf Ural Motorrädern erwecken Aufmerksamkeit und oft staunendes Wohlwollen. Jenes Wohlwollen, das Anne, Elisabeth, Johannes, Kaupo und Efy ein wundervolles Abendmahl beschert, als einige Bewohner der Siedlung am Boot erscheinen, gastfreundlich einen nicht eben kleinen Fisch überreichen und versuchen zu erklären, wie das mit dem Ausnehmen geht. Und ich sage an dieser Stelle nicht unabsichtlich, dass die freundlichen Leute „versuchen“, zu erklären, denn so richtig will es nicht gelingen, selbst Hand ans Abendbrot zu legen. „Trotz der kleinen Einweisung sind wir recht hilflos mit dem großen Brocken“ -lese ich und muss ein bisschen schmunzeln.

Am Ende ist es Kaupo, der den Fisch entschuppt und ausnimmt, was ein recht martialisches Bild gibt.

Nach einer windigen Nacht mit vollem Magen geht es am nächsten Tag weiter nach Atyrau, wo Efy zur belustigenden Verwunderung des Restes der Gruppe von einer Einheimischen in einem Restaurant gefragt wird, ob sie auf dem Klo heimlich getrunken hat. Was die Dame veranlasste, diese Frage zu stellen, bleibt ein Rätsel. Vielleicht gehen die Frauen dort ausschließlich auf die Toilette, um schnell mal einen Schluck aus dem Flachmann zu nehmen? Wir wissen es nicht.

Es ist an der Zeit, die kanadischen Visa zu beantragen und die kasachische Hafenstadt am Fluss Ural im Nordwesten des Landes bietet Gelegenheit dazu.

Eine Besonderheit von Atyrau ist die Tatsache, dass die Stadt zu einem Teil auf dem europäischen, zum anderen auf dem Asiatischen Kontinent liegt.

Auch hier verweilen die Damen und Herren des Projektes nicht lange und machen sich auf in Richtung Uralsk. Reibungslos? Fehlanzeige! Im stichpunktartigen Kurzbericht lese ich:

Unendliche technische Probleme an den Maschinen auf unendlich langen Straßen, die unendlich geradeaus gehen in unendlicher, flacher Landschaft.

Wie soll ich diesen herrlichen Satz umschreiben? Ich lasse ihn stehen, wie er steht, denn besser kann ichs auch nicht sagen.

Wir schreiben inzwischen den 29. April, als das Quintett in der westkasachischen Großstadt Oral (oder wie es im russischen heißt: Uralsk) ankommen, die im europäischen Teil des Landes liegt.

In der 230 000 Einwohner zählenden Stadt, die nur 30 Kilometer von Russland entfernt ist, lernen sie Andrej, Tamara, Viktor und Artjom mit seinem Raben namens Hitchcock kennen und verbringen wunderbare Tage in denen viel geschraubt wird, aber auch einen Paraplan-Flug als Erlebnis verbucht werden kann.

Paraplan nennt sich ein selbst zusammengeschustertes Fluggerät das zum Großteil -wie soll es anders sein- aus Ural-Teilen besteht. Nach anfänglichem Zögern lassen sich die Fünf überreden, selbst- und mitzufliegen. Einmal mehr bin ich froh, nur der schreibende Teil des Projektes zu sein, der von Außen, aus sicherer Entfernung berichtet und nicht, weil er kein Feigling sein will, derart waghalsige Unternehmungen mitmacht. Ich hätte mir die Hosen bis zum Stehkragen vollgemacht, aber ablehnen kommt natürlich nicht in Frage, denn wie gesagt, wer hier kneift, ist schnell der Loser der Truppe.


Stellt euch vor, ihr lernt ein paar coole Leute kennen, die verrückt genug sind, sich ein Fluggerät zu basteln. Stellt euch vor, diese coolen, verrückten Leute fliegen auch damit und führen euch das Teil vor. Stellt euch nun vor, sie laden euch ein, es selbst einmal zu probieren. Keine Chance, einfach wegzugehen mit der Ausrede: „Oh… ich hab ganz vergessen, dass ich noch mal zum Uhrmacher muss.“ oder „Hey, ich muss los, meine Omma kriegt n Zahn!“ …


Am Ende geht alles gut. Jeder darf mal, jeder macht mal und alle kommen wieder heil am Boden an.

Es wird gefeiert, es wird repariert und ersetzt, es wird geredet und besorgt, Ersatzteilkisten werden gefüllt bis es vier Tage später zurück auf die Straße geht. Aktobe ist das nächste Ziel. Wie das Team dort ankommt, ob überhaupt, wie die Motorräder auf schlechte Straßen und Feldwege reagieren, erfahrt ihr ganz bald im nächsten Teil.


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