Auf dem Landweg nach New York - Etappe zwei - Teil VII


Es ist endlich soweit. Der neue Bericht, der die letzten Monate umfasst, ist endlich da.

Ich habe grünes Licht, die nächsten Beitrage ohne Korrektur des leavinghomefunktion – Projektes zu veröffentlichen, da -wie gesagt- die Verbindung aktuell sehr schlecht ist.

Und wir wollen auch gar nicht viel Zeit verlieren, sondern direkt da weiter machen, wo wir aufgehört haben.

Quelle: http://www.monsenstein-und-vannerdat.de/leavinghomefunktion_70.html


Pannen, Schmutz und Polizei

Nach vier herrlichen Tagen geht’s zurück auf die Straße, straight away to Aqtöbe, obwohl „straight away“ etwas übertrieben ist, denn kaum verlassen die Fünf Uralsk, müssen sie schon wieder stoppen. Diesmal sind es die Kupplungsschrauben, die sich bei Annes Motorrad herausgedreht haben. Einmal mehr gehen Stunden ins Land, die Panne zu beheben, auch, wenn dieses Land eine besondere Erwähnung im Bericht findet: „Weiter geht es auf dem Weg durch eine Landschaft, wie man sie sich bei 'From Dusk Till Down' vorstellt. Grasbüschel fliegen über die Straße, alles ist trocken.

Sie schaffen es bis Aqtöbe, der kasachischen Stadt, die auf deutsch soviel heißt wie „weißer Hügel“, aber Kaupos Ural krankt. Und kranken ist hier stark untertrieben, denn Johannes Elisabeth schreibt: „Kaupos Motorrad ist mal wieder ein Wrack. Erneut werden die Kolben getauscht, was sich bis in die Nacht hinzieht.“ Dabei bekommen sie Unterstützung von örtlichen Bikern, die ein riesiges Netzwerk an Leuten unterhalten und nicht nur helfen wollen, sondern auch können. Trotzdem schafft es die Maschine des Esten gerade bis zu einem kleinen See, wo das Quartett erneut zwei Tage fest sitzt und sich der Rettung des Motorrades widmen muss.

Dem nicht genug bricht die Karre in Komsomolsk dann endgültig zusammen. In der 264000 Einwohner Stadt der russischen Föderation erleidet das Sorgenkind seinen Totalzusammen- weil Kurbelwellenbruch. Trotz der Größe dieser Stadt findet sich kein Ersatz. Ein Mann, der den Fünfen durch ein „Merseburg-Tattoo“ auffällt, versucht ein Geschäft mit der Not und will Kaupo eine schrottreife Ural für siebenhundert Dollar (!!!) anzudrehen. Lächelnd wird verzichtet und ein Plan geschmiedet. Bis zur nächstgrößeren Stadt sind es fünfhundert Kilometer. Der inzwischen unmotorisierte Este und die Zypriotin Efy haben die Chance, mit einem Trucker nach Kostanai zu fahren. Das verschafft den Beiden Zeit, sich dort nach Ersatz umzusehen, während Anne, Johannes und Elisabeth die Strecke mit ihren Maschinen zurücklegen.

Kaupos "grüne Elise Lindenhorn"

Quelle: http://www.monsenstein-und-vannerdat.de/leavinghomefunktion_70.html

Erschöpft, nass und durchgefroren von einem schweren Gewitter, das das Trio überkam und sie zwang, die Nacht in einer Bushaltestelle zu verbringen, kommen sie in der Hauptstadt des kasachischen Gebietes Qostanai an, wo sie schnell Mitglieder des Bikerclubs R19 kennen lernen. „Die Jungs stecken uns in die Sauna und waschen uns die Rücken, bis wir wirklich sauber sind“ - schreibt Elisabth, und weiter: „Nun stehen viele Tage schrauben an. Kaupos Ural bekommt einen neuen Motor, den Rest der Maschinen warten wir zusammen mit den R19 Bikern.

Zusammen mit den neuen „Freunden“ begehen die leavinghomefunktion – Leute den 9.Mai, der als „Tag der Befreiung“ gefeiert wird. Im Tross geht’s zum Kriegsdenkmal, wo Blumen niedergelegt werden. Eine intuitiv nicht nur solidarische Geste der Völkerverständigung, sondern auch ein milderndes Unterfangen, wie sich später herausstellen soll, denn einige Tage später werden die Fünf unsanft geweckt. Inzwischen schreiben wir den 12. Mai. Es klopft martialisch an die Tür. Verschlafen öffnet Johannes und ihm gegenüber stehen Uniformierte, die sich nach Anne und Elisabeth erkundigen und schlussendlich festnehmen. An der Grenze zu Kasachstan haben die Beamten vergessen, einen wichtigen Stempel in die Pässe der beiden Mädels zu drücken, weswegen nun die Migrationspolizei und die Staatsanwaltschaft auf dem Plan steht. Bereits einen Tag später findet die Verhandlung statt. Ich möchte nicht wissen, wie sich die Fünf, wie sich vor allem Anne und Elisabeth gefühlt haben. An deren Stelle hätte ich die schlimmsten Horrorverstellungen gehabt, mir wären wüste Bilder durch den Kopf gegangen und das Wort Testament hätte nicht nur einmal in meinem Kopf gespuckt.

Aber alles ist gut. Die Beiden werden aufgrund der Tatsache frei gesprochen, keinen Anwalt zu haben und bekommen die Auflage, einen Brief zu unterschreiben, in dem steht, dass das Gericht hervorragende Arbeit geleistet hat. Milde stimmte den Richter auch, dass die Damen und Herren ehrfürchtig Blumen niederlegten, am denkwürdigen Tag der Befreiung, freiwillig und wohl aus einer inneren Überzeugung heraus, die dem Mann offenbar imponierte.


Nun aber nichts wie weg. Die Sorgenural hat einen neuen Motor, die anderen Maschinen sind gewartet, weiter soll es gehen, und zwar flink, raus aus dieser Stadt, immer in Richtung Astana. Und schon wieder ist es Kaupos „grüne Elise Lindenhorn“ die nicht mehr weiter will. Diesmal steigt die Elektrik aus, sodass ein neuer Kabelbaum gezogen werden muss. „Wir verbringen zwei Nächte im Hotel, weil die Elektrik vom Vorbesitzer äußerst gewitzt geregelt war und all das viel Zeit in Anspruch nimmt“ schreibt Elisabeth.


Und dann doch. Am 18.5. erreicht das Quartett Astana, eine „völlig absurde Stadt, die aus dem Wüstenboden gestampft wurde“ wo sie Nulan kennen lernen, einen Biker und Grafik Designer, dessen Beruf hier eher unbekannt ist. Der zeigt den Abenteurern die Stadt und endlich ist auch Kaupos Pass mit dem Russland-Visa fertig und wird ausgehändigt.


Pawlodar ist das nächste Ziel, das zu erreichen diesmal durch die Witterung erschwert wird: „Strömender Regen und Wind wehen uns fast von der Straße und lassen uns fast blind durch die Steppe fahren. Die Nacht verbringen wir schraubend in einer riesigen Garage.


In Pawlodar, kurz vor der Grenze zu Russland, selbst erhalten die Fünf endlich ein neues Navigationssystem. Nützlich und sicher schwerstens vermisst.


An der russischen Grenze dann, wir schreiben inzwischen den 22.05. werden die Damen und Herren von einem schweren Gewitter geweckt, das sie unter ihr Tarp flüchten lässt.

Als das Wetter etwas besser wird, geht’s zum Grenzübergang. Kasachstan soll nun hinter ihnen liegen und ein weiterer grüner Haken an der geographischen Konzeption des leavinghomefunktion – Projektes sein. Die Grenzbeamten sind freundlich und schmunzeln, als sie die Inhalte der Beiwägen inspizieren. Warum, verraten die Fünf nicht.

Quelle: https://www.facebook.com/leavinghomefunktion/photos/a.1475766159336409.1073741828.1469984683247890/1613753612204329/?type=3&theater

Auf dem Weg nach Barnaul, der russischen Hauptstadt der Region Altai im Süden Westsibiriens, die mit ihren 613000 Einwohnern eine doch recht große Stadt ist, nächtigen Anne, Elisabeth, Johannes, Kaupo und Efy in den Wäldern, umgeben von tausenden Moskitos.

In der Stadt selbst, die nebenbei bemerkt die Geburtsstadt der deutschen Sängerin, Songschreiberin und Produzentin Julia Neigel ist, die hier 1966 auf die Welt kam, warten einige Pressetermine und ein Treffen mit Sergei, einem der Organisatoren der Rally Paris-Peking.

Vorbereitungen auf den nächsten Streckenabschnitt, die Mongolei, werden getroffen, bevor es dann weiter ins Altai Gebirge geht.

Endlich wandelt sich die Landschaft. Berge, unendliche Birkenwälder, die Meschen sehen asiatisch aus, sind oftmals recht betrunken und schnorren Zigaretten. Einsame, kleine Dörfer, simple Holzhütten, sehr gute Straßen, wie die Alpen vor zweihundert Jahren“ schreibt Elisabeth und ich frage mich, wie alt sie wirklich ist, bzw. woher sie so genau weiß, dass so die Alpen vor zweihundert Jahren aussahen.


Bei einem Breakdown am 29.5. lernt das Quartett zwei Kolumbianer kennen. Pedro und Daniel haben einen ähnlich langen Weg hinter sich. Unter dem Titel „columbia – around the world“ fuhren sie bereits durch Südamerika, Afrika, über Israel nach Georgien, weiter nach Russland und sind hier, bei den drei Deutschen, der Zypriotin und dem Esten. Diese Internationalität will gefeiert werden und so entscheiden die nun Sieben, zusammen zu campen.

Kaupos Motorrad ist noch immer nicht hundert Prozent auf Vordermann. Ein neues Zahnrad für die Nockenwelle wird benötigt und so machen sie sich in der dünn besiedelten Region auf die Suche, werden tatsächlich fündig und schrauben zwei Tage, während drei weitere Motorradreisende (Martin, Martin und Dirk) gastieren.

Die Mongolei, neue Freunde und ein Überfall

The Show must go on“ … oder sollte ich besser sagen: „The trip must go on“. Kaupos Maschine läuft und so führt der Weg nun durch eine atemberaubende Landschaft. „Wir sind sehr hoch, schneebedeckte Berge umgeben uns, riesige Adler fressen aus Mülltonnen, es ist herrlich“ lese ich in der Stichpunkt-artigen Mail. 

Quelle: https://www.facebook.com/leavinghomefunktion/photos/a.1629199523993071.1073741841.1469984683247890/1629438167302540/?type=3&theater


Angekommen an der russisch – mongolischen Grenze in Kosh Agach verbringen die „glorreichen Sieben“, denn die beiden Kolumbianer sind noch immer dabei, die Nacht, weil der Grenzübergang kurz vor ihrer Ankunft einfach schließt.

Am nächsten Tag, der Kalender bezeugt den 30.6.2015, steht vor dem Eintritt ins „Land der Nomaden“ zunächst ein zwangsreinigen der Motorräder an. Quarantäne für den Schmutz der Kilometer. Und wo ein Schild das Staatsgebiet der Mongolei offiziell ausschriebt, enden die asphaltierten Straßen.

Wer die Wahl hat, sagt man, hat die Qual. Und so fällt die Entscheidung schwer, welcher der vielen Feldwege, die sich vor dem nunmehrigen Septett die Hügel hinauf schlängeln, der richtige wäre.

Quelle; https://www.facebook.com/leavinghomefunktion/photos/a.1629199523993071.1073741841.1469984683247890/1629438323969191/?type=3&theater

Und offenbar entscheiden sie intuitiv richtig, denn ein anderer dieser Feldwege hätte sie vielleicht bei dem Falkner vorbeigeführt, bei dem die Sieben stoppen und die Chance bekommen, einen der riesigen Adler auf dem Arm halten zu können. „Menschen...“ schreibt Elle, „leben in hier in Jurten zusammen. Manchmal bis zu drei Generationen in einem winzigen Zelt. Es sind Nomaden, die unglaublich viele Herdentiere haben. Hunderte Pferde, Ziegen, Schafe und Kamele.

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Auf ihrem Weg durch Städte wie dem 1988 Meter hoch gelegenen Olgii oder Chowd, einer Stadt mit ca. 30000 Einwohnern, kommen sie an Duschhäusern vorbei, was sicherlich eine willkommene Abwechslung ist.

Im „Hinterhof“ einer Jurte stoßen die leavinghomefunktion – Leute auf zwei Beiwägen Marke Ural und können sich entscheiden, welchen sie für Kaupos Maschine benutzen wollen. Ein Exemplar ist zu einem Grill umgebaut, das andere wird zum Trocknen des hier gängigen Heizmaterials genutzt. Weit und breit gibt es keine Bäume, demzufolge kein Holz und so befeuern die Nomaden ihre kleinen Öfen mit getrockneten Kuhfladen. Im Winter können es hier bis zu -40 Grad werden.

Die Wahl fällt auf Modell Kuhfladen, genächtigt wird in einer Jurte, bevor es weiter geht durch Kilometer weites, unbewohntes Land. Auf Straßen, die keine sind, eher furchtbare Holperpisten durch Gebiete, in denen sie tagelang weder auf ein Haus, noch auf eine Jurte treffen. Ab und zu holpern Autos durch die Gegend.

Die Natur ist unwirklich schön, wir verlieren uns im Straßenlabyrinth und einen Tag später treffen wir am Altei ein. Jeden Tag müssen wir Dinge an unseren Maschinen wieder fest schweißen, mein Bike hat Lepra.“ sagt Elisabeth.

Quelle: https://www.facebook.com/leavinghomefunktion/photos/a.1629199523993071.1073741841.1469984683247890/1629438130635877/?type=3&theater

Es macht natürlich die Runde, wenn eine Gruppe Fremder durch solch dünn besiedeltes Gebiet fahren. Vor allem dann, wenn diese Fremden allem Anschein nach aus einem nicht armen Land kommen. Ich persönlich frage mich schon eine ganze Weile, seit ich über das Projekt schreibe, weswegen noch nichts ernsthaft Schlimmes passiert ist. Nicht, dass ich die Sensationsgeilheit aus Kellen geschlürft hätte, im Gegenteil, aber in meinem (vielleicht auch zu vorurteilsbehafteten) Denken lag schon von Anfang an die Furcht, dass es einst zu Vorkommnissen führt, die sehr unschön sind. Ein solches „Vorkommnis“ widerfährt dem Septett in Buutsagan. Dort nämlich werden sie von einer Horde recht junger Mongolen überfallen. Genaueres zum Hergang erzählen sie nicht, nur, dass die Polizei natürlich informiert wurde, die Täter tatsächlich am nächsten Morgen stellen konnte und verhörte, sie anschließend mitten im Dorf anketteten, woraufhin die Mütter der „Gangster“ sich versammeln und ihre Söhne aufs Übelste beschimpfen. Der Pranger, in der Mongolei offensichtlich noch eine gängige Methode der Strafe.

In Baja Khongor, der nächsten Stadt, werden dann erneut Verhöre seitens der Polizei vorgenommen, die Täter identifiziert und medizinische Untersuchungen vorgenommen, bevor es weiter zu den Dünen Mongol Els geht. Campen und Entspannen nach dem Schreck, denn glücklicher Weise ist keinem etwas zugestoßen. Auch Verluste gab es keine.

Ulan Bator ist die nächste Station. Hier wird die Reise weiter organisiert und Ersatzteile für die Ural-Maschinen besorgt. Dann geht’s zurück nach Russland, nach einem langen Tag des Wartens an der mongolisch – russischen Grenze. In Ulan Ude hilft der Bikerclub „Opposite“ beim Beschaffen weiterer Ersatzteile und die Damen und Herren lernen ihren neuen Dolmetscher Viktor kennen.


Zurück in Russland - Sibirien

Nun also Sibirien. Bis hier hin haben es die Fünf geschafft, liegen vage im Zeitplan, auch, wenn diesbezüglich Eile geboten ist und haben keine schweren Verluste oder Verletzungen zu verbuchen, sehen wir vom Überfall und den ewigen Defekten an den Maschinen ab Nun kommt der schwierigste Abschnitt der Reise und die Natur stimmt unsere Freunde direkt darauf ein. Neben der wunderschönen Landschaft, mit ihren großen Flüssen gilt es, Käfer-Attacken und Angriffe von Riesenbremsen zu überstehen.

Und dann doch das Unglück. Den Überfall in der Mongolei kaum verdaut, geschieht die nächste Katastrophe. In Peschenka, einer Stadt am großen Anjui, will Johannes, in dessen Beiwagen Efy sitzt, zu einer Tankstelle abbiegen und wird von einem vorbei rasenden Auto gestreift. Die Maschine überschlägt, aber es glücklicher Weise keine ernsthaften Verletzungen. Schürfwunden müssen behandelt werden, was in Chita geschieht, wo die Beiden in einem Lazarett behandelt werden und auch Martin und Viktor (die Motorradreisenden, die in der Mongolei auf die leavinghomefunktion – Leute stießen) wieder sehen. Die nämlich haben sich, nachdem Martin von BMW zu Ural wechselte, vorgenommen, das Septett einzuholen.

Außerdem bekommt Annes Ural hier ein neues Getriebe und während die Wunden allmählich heilen, wird fleißig geschraubt, die Maschinen für den Härtetest Sibirien präpariert.

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Am 8. Juli heißt es dann Abschied nehmen von den beiden Kolumbianern. „Wir haben euch während eines Breakdowns getroffen, jetzt werden wir euch, während eines Breakdowns verlassen“ sagen sie und verlassen die Gruppe. Die leavinghomefunktion ist wieder zu fünft, bzw. fünf Maschinen, sechs Menschen, denn Viktor, der Dolmetscher ist nach da, der sich immer dann, wenn er gerade keine Lust hat, den russischen Leuten das Deutsch der Fünf zu übersetzten, als „Kim aus Korea vorstellt.


In Mogotscha, einer russischen Kleinstadt in der Region Transbaikalien, treffen die Sechs die Biker aus Yakutsk, die ihnen von Yakutia, der Kultur, Natur und Sprache erzählen. „Lustige Nacht mit Ural Gott, der Kaupos Bike in Flammen aufgehen lässt“ schrieben sie und ich kann mir nicht so richtig einen Reim darauf machen, was sie meinen. (Ich verspreche, im nächsten Telefoninterview da nochmal nachzuhaken)

Wie die fünf selbst, muss auch der neue Begleiter und Ural-Frischling Martin auf dem Weg nach Yakutsk ständig an seiner Maschine schrauben. Wieder und wieder Defekte, Pannen, Reparaturen, bis Martins Ural einen Totalzusammenbruch erlebt und in Skorowodino eine neue Maschine gekauft wird. Den Motor für Martin, der Beiwagen für Anne, Elisabeth die Schutzbleche und den Tank, Johannes die Federn, Kaupo den Gasgriff. Das ist „Ausschlachten“ in Reinform.

Schrauben in Yakutsk 

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Waldbrände und Bären säumen die Weiterfahrt, tausend Kilometer ohne Asphalt, durch einen endlos scheinenden Wald, keine Orte, große Distanzen und der Beweis, dass die Tour recht gut geplant ist, denn im Winter werden es hier bis zu -46 Grad Celsius. Da, wo sie auf Zivilisation stoßen, werden sie eingeladen, denn die Leute wissen immer schon vor dem Ankommen der Abenteurer, dass diese bald da sein werden. Es spricht sich herum, dass ein seltsamer Tross die Region durchfährt. Man kennt die ganze Geschichte des Projektes und wird freudig empfangen.


In Yakutsk verlassen Martin und Viktor dann die Gruppe. Dafür kommt ein neues Mitglied hinzu. Pedro fährt Martins Ural fortan und zwei Einheimische erweisen sich als unendlich gastfreundliche Helfer. Viktor und Igor helfen beim Organisieren von Sondergenehmigungen.

Ein Schatten legt sich auf das Projekt, denn alle Einheimischen sagen, dass es unmöglich ist, die Strecke wie geplant zu absolvieren. Erste Überlegungen kursieren, das Wintercamp eventuell in Japan zu errichten. Plan B und C wird geschmiedet und wie das genau aussieht, wie Anne, Elisabeth, Johannes, Kaupo, Efy und Pedro sich dann doch aufmachen, die berühmte „Road of Bones“ hinter sich zu bringen, erfahrt ihr bald hier.  

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Auf dem Landweg nach New York - Etappe 2 - Teil VI

Waghalsig ist geprahlt


Es ist nun schon eine Weile her, da der letzte Bericht online ging, und fast habe ich ein schlechtes Gewissen deswegen. Andererseits habe ich ja angekündigt, dass es von nun an notgedrungen etwas sporadischer werden wird, da die leavinghomefunktion – Leute sich jetzt in Gebieten befinden, in denen eben nicht überall W-Lan und Telefonempfang als Kommunikationsmittel zur Verfügung steht, kleinere Dörfer und größere Städte in weitem Abstand zueinander liegen und Internet- Cafés eher eine Seltenheit sind. Unvorstellbar beinahe, für uns Mitteleuropäer, nicht alle drei Minuten zum Smartphone zu greifen, um der ohnehin eher desinteressierten Gemeinde zu zeigen, was es gerade zum Mittag zu Essen gab, oder aktuelle Bilder des Stubentigers hochzuladen, die sich angeblich keiner ansieht, aber gefühlte 70% der User posten. Anyway, ich schweife ab.

Während wir die hochsommerliche Urlaubszeit zwischen Hitzerekord und Unwetter am Strand, in der Natur, im Schrebergarten und auf Balkonien verbringen, oder uns scheckig ärgern, weil die vierzehn Tage Freiheit mal wieder viel zu schnell vorbei gingen, fahren sich unsere fünf Freunde weiter in die Verzweiflung, die eine Konsequenz unendlich vieler Defekte und notwendiger Reparaturen ist. Lese ich die Notizen, die ich eben per Mail bekam, entsteht schnell der Eindruck, dass „Fahren“ kaum noch das richtige Wort ist, denn in jedem zweiten Abschnitt steht irgend ein neues technisches Defizit, das behoben werden muss.

Natürlich ist das Quatsch und freilich wird mehr gefahren, als repariert, aber es muss schon frustrierend sein, nicht einfach mal drei, vier, fünf Tage ohne Zwangsstopp auf dem russischen Traktor auf drei Rädern zu sitzen, den Fahrtwind zu genießen, die Landschaft zu genießen, das Vorankommen zu genießen, ohne die tickende Warnung im Hinterkopf, dass der Zeitplan wackelt.

Wir erinnern uns: beinahe auf die Minute erreichen die Fünf das Zwischenziel Grenze Russland – Kasachstan. Die Freude ist groß, denn keiner kennt dieses Land wirklich, die Landschaft ändert sich von jetzt auf gleich und die ersten Kamele kreuzen den Weg.


Es wäre inzwischen nicht mehr das leavinghomefunktion – Projekt, wenn alles reibungslos abliefe und wenn es nicht ein horribler Defekt wäre, der den Tross zum Anhalten zwingt, dann sind es andere Gründe. Naturgewalten zum Beispiel oder anfängliche Desorientierung auf einer neuen Etappe. Beides gleichzeitig kann auch vorkommen. Und es kommt vor. „Hier gibt es nicht nur eine Straße, sondern ein riesiges Labyrinth von Feldwegen.“ – beschreibt man die ersten Kilometer in dem europäisch – zentralasiatischen Binnenland zwischen dem Altai-Gebirge und dem Kaspischen Meer.

Und wo Feldwege sind und Regennässe, da ist auch Schlamm. Und wo Schlamm ist, besteht die Gefahr, sich festzufahren. Und Kaupo tut, was im Grunde klischeehaft zu einem solchen Trip gehört und noch unzählige Male passieren wird. Aber die Fünf wissen das, sind vorbereitet und so vergeht nicht all zu viel Zeit, den sprichwörtlichen Karren aus dem Dreck zu ziehen und sich aufzumachen nach Zabürün`e, einer kleinen Siedlung direkt am Kaspischen Meer, wo jeder Ural – Motorrad fährt. Hier wird das Vehikel sogar zum Angeln benutzt, denn man fährt damit direkt ins Wasser.


Und wo jeder Ural fährt, warten natürlich auch eine Menge Ersatzteile auf ihre solidarische Umlagerung. Sogar im Sand vergraben lassen sich kleine Schätze in Form von brauchbarem Material entdecken.

In kleinen Läden finden sich, direkt neben Zahnpasta und Waschmittel, Zylinderköpfe, Ventile, Bautenzüge und allerhand anderer notwendiger Kleinkram, womit sich das Team hocherfreut eindeckt, denn die nächsten Verschleiße kommen bestimmt.

Die Nacht“ – schreiben die Fünf „verbringen wir im Windschutz eines ausrangierten Holzbootes am Strand.“

Die Ural sollte, laut Konzept des Projektes, als Kommunikationsmittel dienen und dieses Vorhaben erweist sich immer wieder als weise Voraussicht einer vagen Hoffnung. Denn es gelingt auch hier in Kasachstan. Fünf junge, mutige Abenteuer aus Estland, Zypern und Deutschland auf fünf Ural Motorrädern erwecken Aufmerksamkeit und oft staunendes Wohlwollen. Jenes Wohlwollen, das Anne, Elisabeth, Johannes, Kaupo und Efy ein wundervolles Abendmahl beschert, als einige Bewohner der Siedlung am Boot erscheinen, gastfreundlich einen nicht eben kleinen Fisch überreichen und versuchen zu erklären, wie das mit dem Ausnehmen geht. Und ich sage an dieser Stelle nicht unabsichtlich, dass die freundlichen Leute „versuchen“, zu erklären, denn so richtig will es nicht gelingen, selbst Hand ans Abendbrot zu legen. „Trotz der kleinen Einweisung sind wir recht hilflos mit dem großen Brocken“ -lese ich und muss ein bisschen schmunzeln.

Am Ende ist es Kaupo, der den Fisch entschuppt und ausnimmt, was ein recht martialisches Bild gibt.

Nach einer windigen Nacht mit vollem Magen geht es am nächsten Tag weiter nach Atyrau, wo Efy zur belustigenden Verwunderung des Restes der Gruppe von einer Einheimischen in einem Restaurant gefragt wird, ob sie auf dem Klo heimlich getrunken hat. Was die Dame veranlasste, diese Frage zu stellen, bleibt ein Rätsel. Vielleicht gehen die Frauen dort ausschließlich auf die Toilette, um schnell mal einen Schluck aus dem Flachmann zu nehmen? Wir wissen es nicht.

Es ist an der Zeit, die kanadischen Visa zu beantragen und die kasachische Hafenstadt am Fluss Ural im Nordwesten des Landes bietet Gelegenheit dazu.

Eine Besonderheit von Atyrau ist die Tatsache, dass die Stadt zu einem Teil auf dem europäischen, zum anderen auf dem Asiatischen Kontinent liegt.

Auch hier verweilen die Damen und Herren des Projektes nicht lange und machen sich auf in Richtung Uralsk. Reibungslos? Fehlanzeige! Im stichpunktartigen Kurzbericht lese ich:

Unendliche technische Probleme an den Maschinen auf unendlich langen Straßen, die unendlich geradeaus gehen in unendlicher, flacher Landschaft.

Wie soll ich diesen herrlichen Satz umschreiben? Ich lasse ihn stehen, wie er steht, denn besser kann ichs auch nicht sagen.

Wir schreiben inzwischen den 29. April, als das Quintett in der westkasachischen Großstadt Oral (oder wie es im russischen heißt: Uralsk) ankommen, die im europäischen Teil des Landes liegt.

In der 230 000 Einwohner zählenden Stadt, die nur 30 Kilometer von Russland entfernt ist, lernen sie Andrej, Tamara, Viktor und Artjom mit seinem Raben namens Hitchcock kennen und verbringen wunderbare Tage in denen viel geschraubt wird, aber auch einen Paraplan-Flug als Erlebnis verbucht werden kann.

Paraplan nennt sich ein selbst zusammengeschustertes Fluggerät das zum Großteil -wie soll es anders sein- aus Ural-Teilen besteht. Nach anfänglichem Zögern lassen sich die Fünf überreden, selbst- und mitzufliegen. Einmal mehr bin ich froh, nur der schreibende Teil des Projektes zu sein, der von Außen, aus sicherer Entfernung berichtet und nicht, weil er kein Feigling sein will, derart waghalsige Unternehmungen mitmacht. Ich hätte mir die Hosen bis zum Stehkragen vollgemacht, aber ablehnen kommt natürlich nicht in Frage, denn wie gesagt, wer hier kneift, ist schnell der Loser der Truppe.


Stellt euch vor, ihr lernt ein paar coole Leute kennen, die verrückt genug sind, sich ein Fluggerät zu basteln. Stellt euch vor, diese coolen, verrückten Leute fliegen auch damit und führen euch das Teil vor. Stellt euch nun vor, sie laden euch ein, es selbst einmal zu probieren. Keine Chance, einfach wegzugehen mit der Ausrede: „Oh… ich hab ganz vergessen, dass ich noch mal zum Uhrmacher muss.“ oder „Hey, ich muss los, meine Omma kriegt n Zahn!“ …


Am Ende geht alles gut. Jeder darf mal, jeder macht mal und alle kommen wieder heil am Boden an.

Es wird gefeiert, es wird repariert und ersetzt, es wird geredet und besorgt, Ersatzteilkisten werden gefüllt bis es vier Tage später zurück auf die Straße geht. Aktobe ist das nächste Ziel. Wie das Team dort ankommt, ob überhaupt, wie die Motorräder auf schlechte Straßen und Feldwege reagieren, erfahrt ihr ganz bald im nächsten Teil.


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Auf dem Landweg nach New York - Etappe 2 - Teil V

Eine entscheidende Stunde – oder: Die Geschichte vom nicht abreißenden Pech

Wie versprochen war das Warten diesmal nicht so lang, die Zeit zwischen dem letzten, und dem jetzigen Bericht recht kurz…

So würde ich gern beginnen. Geht aber nicht, denn ich weiß nicht, wann meine Mail mit diesem aktuellen Text die leavinghomefunktion – Leute erreichen wird, bzw. wann sie in der Lage sind, mir die korrigierte und freigegebene Version zuzusenden. Das hat im Grunde nur einen einzigen Grund, nämlich die Tatsache, dass die Jungs und Mädels in diesem Moment bereits durch die Weiten der Mongolei fahren und daher nur bedingt das „Fenster zur Welt“ zu öffnen imstande sind.

Es liegt auf der Hand, dass meine Berichte natürlich zeitlich versetzt online gehen und die Eigentlichkeit einen doch recht weiten Vorlauf hat. Dennoch, das soll an dieser Stelle einmal betont sein, sind wir natürlich alle, das Quintett vom leavinghomefunktion – Projekt und ich, bestrebt, so zeitnah wie nur irgendmöglich zu „liefern“ dass Du, lieber Leser, nicht allzu lange warten musst, dass wir eine Nachvollziehbarkeit zu wahren versuchen und nicht so viel Distanz zwischen den Texten entsteht, dass du immer erst einmal den letzten Bericht lesen musst, um wieder „reinzukommen“. Leider ist das aus oben genannten Gründen nicht immer machbar und wird jetzt, da die Zivilisation immer und immer rarer wird, die folgenden Strecken immer dünner besiedelt sind, erst recht zu einem Problem. Aber bleiben wir zuversichtlich und gehen einfach im Sinne des Mottos „Positiv denken“ davon aus, dass wir wie bisher berichten können.

Und nun nicht länger auf die Folter gespannt. Wir erinnern uns: Die Fünf konnten, nach einigen Tagen plagender Bastelei endlich los. Die Zeit krallte sich bereits in den Nacken des Projekts und riss schon gierig ihr Maul auf, das ganze Vorhaben zu verschlingen. Gefährlich nah am terminologischen Exodus hieß es, sich sputen, den Kaupos Visa läuft bald aus und das Land muss verlassen werden, um weiterem Ärger aus dem Weg zu gehen.

Fünfzehn Polizeikontrollen passiert die Crew auf dem Weg ins Unwegsame, was allein schon eine nächste Herausforderung ist. Eine Herausforderung, die eventuell zu meistern ist, wäre da nicht noch das Problem des fehlenden Navigationssystems, das ja von einem LKW in den Navigationsgerätehimmel geschickt wurde. Nicht, dass die Fünf unfähig sind, Karten zu lesen, oder dass es gar an solchen mangelt, aber was auf eben einer solchen Karte wie ein kleines Stückchen Labyrinth aussieht, entpuppt sich bei realer Betrachtung, sprich: beim Befahren als sandiger Irrweg. „Manchmal sind wir siebzig, achtzig Kilometer ohne Plan gefahren. Doch war am Ende meist alles gut.“ sagt Johannes am Telefon. Auf der Website des Projektes ist zu lesen: „Zügig bahnen wir unseren Weg durch die Dünen – hier kommen uns tatsächlich LKWs entgegen – es ist nicht zu fassen, der Feldweg ist eine Autobahn.“

Störrische Esel, Hundewelpen und eine Impfung die keine ist

Alles gut, sagte ich eben. Es könnte so schön sein, doch die Pechsträhne will und will nicht abreißen.

„Lisa Lindenhorn“ hat ihren Freischwimmer im Schlammbad noch nicht und wird ihn, zumindest diesmal, auch noch nicht bekommen. „Lisa Lindenhorn“ – Kaupos Motorrad – hat eher Lust auf eine Pause und die macht sie, gleich einem sturen Esel, der, wenn er nicht will, auch nicht weiterläuft, inmitten einer riesigen, schlammigen Pfütze. Es geht weder vor, noch rückwärts und der Tross muss ein weiteres Mal halten, diesmal nicht, um Werkzeug aus den Taschen zu holen, sondern die Seilwinde zum Einsatz zu bringen, die in weiser Voraussicht noch in Deutschland gekauft wurde. Ein verhältnismäßig kleines Problem, denn flink ist der Karren aus dem Dreck gezogen, getadelt und es wird wieder aufgesessen. „“Das war irgendwie schon ein Erlebnis. Zum ersten Mal wurde mir hier so richtig bewusst, dass hier alles anders läuft.“ sagt Johannes und Elle fügt lachend hinzu: „Das ist auf jeden Fall eine gute Vorbereitung auf Sibirien!“

Dass die Fünf ein großes Herz haben, weiß ich persönlich auf jeden Fall. Und auch, wenn ich Kaupo selbst nicht kenne, liegt es doch auf der Hand, dass es so sein muss, er würde ansonsten gar nicht zum Rest der Gruppe passen. Ich erzähle das nicht, weil ich an dieser Stelle nichts besseres zu sagen habe und irgendwie die Seiten mit Text füllen muss, sondern weil ich beim Lesen der Kurzberichte auf der Website des leavinghomefunktion – Projektes auf eine kurze Anekdote stoße, die wir am Telefon gar nicht beleuchtet haben. Ich aber bin der Meinung, dass dies erwähnt sein muss:

Kaupos Ural aus dem Schlamm befreit, geht’s weiter, die Karawane zieht genießend durch die Steppe, bis Johannes erschrocken feststellt, dass seine Kamera nicht mehr auf der Halterung klemmt. Ein Verlust, der schmerzt, wenn man schon wenig dabei hat. Also kehrt Marsch, auf die Suche nach „Knipsi“ wie sie den Apparat verniedlichend nennen (In Sachen Namensgebung sind die Fünf offenbar nie verlegen) und hinein in die Fügung. Statt nämlich das Gerät der Bannung zu finden, müssen sie zusehen, wie vor ihren Augen ein Hundewelpe ausgesetzt wird, der nun mutterseelenallein durch das sandige Labyrinth schlawenzelt. Die Kamera selbst finden sie nicht mehr, denn klar, tausend Wege, die alle gleich aussehen, da wüsste auch ich drei Stunden später nicht mehr, wo ich hergekommen bin.

Großherzig nehmen sie sich des ausgesetzten Hundes an, versuchen, ihn einem Schäfer, den sie unterwegs treffen, zu vermitteln, der jedoch bereits genug Hunde hat, sich des Welpen nicht annehmen kann. Und so geht’s weiter zu sechst, bis ins nächste Dorf, wo sie „Hündin Klaus“ „ihrseinem“ Schicksal überlassen müssen. Freilich wäre ein Hundewelpe unterwegs auf großer Fahrt eine lustige Sache, fürs Tier selbst und die Tour an sich jedoch, wäre das zu viel der Güte. Im Dorf, so schrieben sie, seien seine Überlebenschancen unter den anderen Straßenhunden auf jeden Fall höher. Tierheime? Fehlanzeige.

Und weiter gehts. Man hat offenbar einen „Run“, was hier eine pannenfreie Zeit bedeuten soll, was ausgenutzt werden will und muss. Das Visum von Kaupo ist bald abgelaufen, die Zeit beißt sich immer fester in den Nacken des Projektes.

Zwanzig Kilometer vor der russischen 520 000 Einwohner – Stadt Astrachan schlagen die Abenteurer ihr Lager auf. Die Nacht wird kurz, denn es steht noch ein wichtiger Punkt vor dem Grenzübertritt an. Eine Klinik muss gefunden, wo Efy sich gegen FSME impfen lassen kann, „denn,“ so erzählt Elle, „es gibt hier unglaublich viele Zecken, diese Impfung ist enorm wichtig.“

Einmal mehr kann man hier eine Ode an das Internet singen, denn theoretisch ist diese Klinik schnell gefunden. Theoretisch!

Also wird nach kurzer Ruhe zum Aufbruch geblasen, instinktiv richtig, denn kaum erreicht der Tross die große Stadt, heißt es Stop and Go in einem riesigen Verkehrsknäuel. In Summe mit der herrschenden Wärme ist dies etwas, das die alten Ural-Maschinen nur schwer verkraften.

Um die Wolga herum, die Astrachan durchschneidet, sieht es eher aus, wie in einem riesigen Industriegebiet, es herrscht Chaos, nicht nur durch den Verkehr, sondern auch die Tatsache des fehlenden Navis macht dem Quintett zu schaffen. Wie soll man in einer Metropole wie dieser, ohne Navi das besagte Krankenheus finden, wenn auch noch die Zeit nicht nur des ablaufenden Visas kneift, die Impfung selbst nämlich nur zwischen 11.00 und 12.00 Uhr „abgeholt“ werden kann. Und klar ist, als Tourist spazierst du nicht quitschvergnügt und mir nichts dir nichts in irgendeine Praxis, legst deine Krankenkarte auf den Tresen und wartest dann drei Minuten, bis dir der Herr Doktor die Spritze in die Armbeuge rammt. Mit diesem Arzt muss gesprochen werden, Dokumente müssen ausgefüllt werden und wer weiß, welche bürokratischen Hindernisse noch im Wege der Planerfüllung liegen.

Halb zwölf. Die Stimmung ist gereizt, die Uhr gegen die Impfung, die Maschinen brauchen dringend Erholung und so entscheidet die Gruppe, unverrichteter Dinge ihren Ausgang in Richtung Grenze zu suchen. Manchmal muss man auf solch einer Reise Entscheidungen treffen, die dem Einzelnen nicht schmecken. Diesmal trifft es Efy, die sichtlich enttäuscht ist.

Tucholsky hätte applaudiert

Bevor jedoch Astrachan hinter den Fünfen liegt, wird hauptsächlich Elle zur Bremse eines Schauspiels. Auf einer großen Kreuzung werden die Fünf von einer Streife gestoppt, die sichtlich gestresst und arg fordernd nach den Dokumenten fragt, dabei aber immer wieder beinahe panisch „dawai“ ruft. Elisabeth begreift erst nicht, kramt in den Tiefen ihres Gepäcks nach den Papieren und stellt mit Schrecken fest, dass der Grund für „dawai dawai!!!“ eine riesige Militärparade ist, die geradewegs auf jene Kreuzung zurollt, die sie justament blockiert, denn das Motorrad will nicht wieder anspringen. Das „Dawai“ des Polizisten erhebt sich zu einem Schrei, Elle selbst springt in den Kickstarter, die Nervosität wird unaushaltbar, die Parade kommt immer näher und… die Karre will einfach nicht anspringen. Die militärische Generalprobe für den neunten, der bekannter Maßen in Russland der große Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus ist und als solcher noch größer zelebriert wird, steht. Panzer, Raketen beladene Lkws, alles aufgehalten von einer deutschen und ihrem russischen Motorrad. Auch mir würden in dieser Situation die Knie schlottern, wie Elisabeth es beschreibt. Und kaum, dass der riesige, paradierende Konvoi sich einen Weg an der Mensch-Maschine-Barrikade vorbei bahnt, die letzten Fahrzeuge die Engstelle passieren, röhrt der Motor vom „Untyp“, Elle bewegt den Gasgriff und es ist, als sei nichts geschehen. Tucholsky hätte applaudiert.

Maestros die Kurbelwellenklumpen von Herzen fallen lassen und ein Endlich, das knapp war

Nun könnte es weitergehen, endlich auf zur Grenze. Die ablaufenden Minuten werden beinahe hörbar. Es KÖNNTE weitergehen. Es geht aber nicht weiter. Kaum, dass die Fünf sich wieder in den Verkehr einreihen, Johannes’ Befürchtungen, Spritmangel sei Schuld einiger Zurückbleibender sich nicht bestätigen, fängt Elisabeths Motorrad an, laut zu rasseln. Schlimme Ahnung, schlimme Fakten, gleiche Symptome wie wenige Tage zuvor bei Annes Ural. Der Kickstarter bewegt sich keinen Millimeter. Kolben fest.

Spätestens jetzt wäre ich mit einem lauten Schrei und einem Tritt gegen die Karre ausgerastet, hätte mir eine Bar gesucht und mich frustriert betrunken. Aber es bleibt bei einem wütenden Aufstampfen Annes, bei einigen Flüchen und einem resignierenden „Kein Bock mehr“ aus Johannes Mund. Gäbe es einen Orden der Vernunft, das leavinghomefunktion – Projekt hätte ihn mehr als verdient.

Sergej, den wir aus Vladikavkaz kennen, hat Kontakte nach Astrachan, das wissen die Fünf. Und während die beiden Jungs und Elle beginnen, die Maschine auseinanderzunehmen, telefoniert Anne mit jenem Sergej, der wiederum seine Freunde in der hiesigen Stadt anruft, und sie zum Pannenort lotst.

Das „Mittel Ural“ als Kommunikationsmittel, wie es von Anfang an konzeptionell gedacht war, beweist einmal mehr weise Voraussicht in Plan und Denken. Ohne die Ural-Maschinen hätten die Fünf einige Menschen wohl vielleicht nicht kennen gelernt, Menschen, die sich im Nachhinein als sehr wichtige, freundliche und stets hilfsbereite „Telefonjoker“ erweisen.

Sergejs Bekannte erreichen das Debakel und nach kurzer Besichtigung wird Elles Motorrad abgeschleppt. Dabei löst sich noch das Hinterrad der havarierten Maschine, das vergessen wurde, wieder festzuschrauben.

Unsere quälende Fahrt endet auf einem großen Industriegelände. Hier reihen sich die Werkstätten aneinander und es dauert nicht lang und wir sind von Mechanikern umzingelt“ liest man auf der Website des Projektes.

Aber man sagt berechtigt: Viele Hände, schnelles Ende und so geht’s schneller als man „kaputt“ sagen kann, Motor raus, Getriebe ab, die losen Schrauben, die wohl Urheber des Defekts sind und einige Spuren hinterlassen haben entfernen. Die weiteren notwendigen Reparaturen gelingen in Windeseile und schneller als man sich versieht, steht das Motorrad wieder in Gänze und funktional vor der Gruppe.

Wieder wird seitens der russischen Helfer gestaunt, wieder werden Bekanntschaften gemacht, wieder wollen einige der Leute die Fünf aus der Stadt begleiten, wieder liegt eine Grenze unmittelbar vor ihnen, wieder geht etwas kaputt… aber es nur Kleinigkeiten, die schnell behoben werden können und sei es das kaputte Licht, das fürs erste durch Taschenlampen ersetzt wird.

23.00 Uhr. Die netten Herren Maestros der Bastelei haben sich verabschiedet. Nach kurzer Fahrt erreichen die Fünf den Grenzübergang in Richtung Kasachstan. Eine Stunde noch, und Kaupos Visum läuft aus. Diesen Umstand den Beamten erklärt und sie winken den Tross nach vorn.

Das letzte Wort dazu soll Elisabeth haben: „Die Grenzbeamten sind unglaublich nett – der Start für Kasachstan steht unter einem guten Stern. Kurz nach der Grenze schlagen wir unser Lager in der Steppe auf und wie durch einen Schalter angeknipst startet ein tiefer, heulender Wind, der zügig über den sandigen Boden tost. Die Geräuschkulisse trägt uns in den Schlaf – keiner von uns kann das fassen, wir sind endlich in Kasachstan.

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Auf dem Landweg nach New York - Etappe 2 - Teil IV

Dünne Fäden der Geduld

Ich persönlich gehöre ja eher zu derjenigen Sorte Mensch, deren Geduld nur in begrenzter Kapazität vorhanden ist und wenn etwas nicht geht, wie ich es will, schmeiß ich es schlichtweg an die nächste Wand, oder, wenn keine Wand in der Nähe ist, irgendwo in die Botanik und gehe meiner Wege. Packt mich die Wut im Unermesslichen, was nicht selten dann der Fall ist, wenn ich mich dem weggeworfenen Gegenstand noch einmal widme um seine Funktionalität doch vielleicht wieder herzustellen, dann bin ich auch nicht abgeneigt, einfach einen großzügigen Schluck Feuerzeugbenzin mit einer Flamme aus dem Feuerzeug selbst zu kombinieren und den ganzen -entschuldigt den Ausdruck- Scheiß ganz einfach anzuzünden.

Und da liegen wir bei einem weiteren Grund für die Tatsache, dass ich liebend gern auf das Abenteuer „Auf dem Landweg nach New York“ verzichte, lieber von zu Hause aus ab und an telefoniere und schreibend meinen beteiligenden Beitrag leiste. Denn wenn zu zehnten, elften, dreißigsten Mal mein Motorrad aussteigt, ich würde mich vergessen.

Dies als Bekundung meines Respektes allein die Geduld betreffend, die unsere fünf fahrenden Freunde beweisen, wenn sie in scheinbar stoischer Ruhe jeden kleinen und großen Defekt beheben, sich Gedanken machen, basteln, tüfteln, reparieren und nicht längst schon den nächstbesten Zug gen Heimat genommen haben.

Wir erinnern uns diesmal recht einfach, dass die Fünf den 80 km Umweg in Richtung Astrachan nahmen, weil die direkte Strecke eher ein schlechter Feldweg ist, wie einer der Polizisten einer Straßenkontrolle sagte. Solche Kontrollen folgen nun alle 20 km, die die Route direkt durch die Krisengebiete Nordossetien und an der Grenze zu Tschetschenien führt.

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Kurz vor Beslan dann ein erneuter Zwangsstopp. Annes Motorrad geht aus, der Kickstarter ist fest. Es ist stockdunkle Nacht und der Fehler lässt sich auf die Schnelle nicht finden. Ein Abschleppseil bildet die Verbindung vom defekten zum funktionierenden Fahrzeug, Elisabeth schleppt Annes „Rooster“ zu einem unweit gelegenen Waldstück. Das Nachtlager wird errichtet, ein Einheimischer, der auf seinem Pferd unterwegs ist, fragt freundlich nach dem Befinden. Und während die Fünf in ihren Schlafsäcken allmählich in Richtung Schlaf taumeln, umgibt sie die Geräuschkulisse des Draußenseins. Die Krähen, die über ihnen kreisen, als läge da unten ein gefundenes Fressen, wollen keine Ruhe geben. Es krächzt und kräht über den müden Gliedern des Quintetts und das Einschlafen zieht sich wie Gummi gen Morgen.

Das Erwachen am nächsten Tag heißt Arbeit. Werkzeug und fragende Blicke umgeben die blaue Maschine von Anne, Befürchtungen werden laut und lauter und am Ende steht fest: „Rooster“ ist zumindest hier, mitten in der Pampa nicht reparabel. Der Kolben ist fest. Glück im Unglück quasi ist die Tatsache, dass Beslan nur drei Kilometer entfernt ist und dort eine Familie lebt, die bereits bei der Visite im September mit Ersatzteilen aushelfen konnte. Und so geht es mit Hilfe des Abschleppseils in Richtung Beslan.

Das Haus besagter Familie ist flink gefunden, seine Bewohner aber scheinen nicht da zu sein. Aber wie so manches Mal hilft der Zufall und so treffen die Fünf Igor, jene Zufallsbekanntschaft von vor fünf Monaten, die damals schon den Kontakt zu Leonid, dem Oberhaupt der Schrauberfamilie herstellte. Letzterer sei auf dem örtlichen Ersatzteilmarkt und so warten Anne und Efy am Haus, während der Rest sich auf den Weg zum Mark macht.

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Einige Stunden später ist es dann soweit. Als nach einem ausgedehnten Frühstück Leonid am Haus ankommt, wird sofort Hand angelegt, es dauert keine halbe Stunde und Annes Ural ist sprichwörtlich skelletiert. Schnell stellt sich heraus, dass das Grauen einen Namen hat: Kurbelwellenbruch. „Das ist so ziemlich das Schlimmste, was einem Motor passieren kann.“sagt Elisabeth am Telefon. Aber der Schrauberheld und Ersatzteilkönig Leonid zaubert eine original verpackte Kurbelwelle von 1985 aus einem seiner Regale, baut sie ein und Annes Ural wieder zusammen. Ich kann mir die Erleichterung vorstellen, die in diesen bangen Momenten in jedem Einzelnen der fünf fahrenden Künstler vorging. Um Mitternacht sind die Hände ölig, die Karre gängig aber an Aufbruch ist nun kaum noch zu denken und so lädt die Familie unsere Abenteurer ein, im Haus zu übernachten.

Der Start am Morgen wird zu einem versuchten Start. Wieder überschattet ein Defekt das Losfahren. Weder Annes, noch Kaupos Motorrad wollen anspringen. Wieder hilft Leonid. Wieder wird sechzehn Stunden geschraubt, gebastelt, ausgetauscht, repariert, probiert und wieder stehen Johannes und Kaupo nur sehr kurz vor einem Zusammenbruch. Wie gesagt, ich hätte den Mist an die Wand geworfen, mich bedankt, mir den nächsten Bus zum nächsten Flughafen genommen und wäre stocksauer nach Deutschland zurückgeflogen, Das Wort Ural hätte ich nie wieder in den Mund genommen und alles, was auch nur im Entferntesten mit dieser Tour zusammenhängt hätte ich aus meiner Zukunft verbannt. Aber das Quintett hat ein Ziel, ein Vorhaben und Geduld, so viel Geduld, wie ich sie selbst in Summe meiner Lebensjahre nicht hätte.

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Nach also sechzehn Stunden Bastelei, Flucherei und Schrauberei schläft das Team erneut bei der Familie, wird gastfreundlich umsorgt und aufgenommen.

Neuer Tag, neues Glück, neuer Startversuch und…. Morgenstund hat Dreck im Mund. Beziehungsweise Öl. Erneut ist es Annes Motorrad, das strikt den Dienst verweigert und auch Kaupos Maschine schließt sich dem Streik an. Die Elektronik seiner Maschine, sagt Elisabeth, sei wohl verhext. Es nützt also nichts, Kommando Schraub und Bastel in Beslan die Dritte. Und verhext ist wohl auch Anne ein bisschen, denn als sie am späten Nachmittag ihrem Ärger in Form eines Schreis Luft macht, springen plötzlich beide Urals an, als hätten sie Angst vor dem finalen Kick, dem Motorradfriedhof oder dem Uralhimmel bekommen. Doch die Maschine des Esten, die liebevoll die „grüne Elise Lindenhorn“ genannt wird, will nicht mehr. Selbst der ebenfalls inzwischen genervte Leonid weiß sich keinen anderen Rat als einen Bekannten anzurufen, der tatsächlich noch eine Ural herumstehen hat.

Nach einem langen Abend läuft die „grüne Elise Lindenhorn“, nach maßgeblicher Veränderung endlich wieder“ liest man im Blog des leavinghomefunktio-Projektes. Es gibt ein weiteres üppiges Abendessen, bevor es dann in aller Herrgottsfrühe wieder on the road gehen soll, denn die Zeit kneift, Kaupos Visum läuft aus und bis zur Grenze nach Kasachstan sind es noch achthundert Kilometer.

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Drei Uhr Nachts dann klingelt der Wecker. Lubov die Frau von Leonid die schon die letzten Tage warme Mahlzeiten kochte, steht mit auf, um den Fünfen zum Abschied noch das Frühstück zu bereiten. Sie scheint ein wenig verwirrt ob des frühen Erwachens. Warum drei Uhr, wenn es erst um fünf los gehen soll, fragt sie und Elisabeth fällt die Zeitumstellung wie Schuppen von den verschlafenen Augen. Eine Stunde zu früh aufgestenaden. Ein schlechtes Omen?

Durchaus. Denn nachdem der Tross den Hof mit einem Hupkonzert verlässt und einige Meter gefahren ist, fehlt etwas. Elisabeth: „Wir sind gerade losgefahren, ich sehe in den Rückspiegel und… Anne ist nicht da! Ich dachte „das kann doch jetzt nur ein schlechter Scherz sein“ und wir fuhren deprimiert zurück“.

Glücklicher Weise stellt sich der Schaden als schnell behebbar heraus und endlich kann es weitergehen. Bis…

…ja, bis auf der Strecke in Richtung Inguschetien die nächste Polizeikontrolle den Tross stoppt, der erste Beamte aber, etwas verwirrt, weiterfahren lässt. Ein Fehler, wie sich kurz danach herausstellt, als ein Wagen der Polizei mit Blaulicht die Fünf überholt und zum Anhalten auffordert. Man dürfe hier nicht mit Motorrädern fahren und das Nichtbeachten dieser absurden Regel koste nun läppische fünfhundert Euro. Verzweifeltes Diskutieren und schauspielerisches Dummstellen helfen nichts, die Cops wollen Kohle und werden immer stinkiger. Wieder hilft Leonid. Diesmal als Telefonjoker. Der Angerufene Schrauber spricht mit einem der Beamten, der sich schnell beruhigen lässt und freundlich zur Weiterfahrt bittet.

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Nicht weniger als fünfzehn weitere solcher Kontrollen müssen die Fünf an diesem tag noch über sich ergehen lassen, freundlich jedoch und wesentlich problemfreier. Einzig die Papiere werden geprüft und gute Fahrt gewünscht. Einige wollen Bilder mit den drei Deutschen, der Zypriotin und dem Esten machen.

Schaffen es die Fünf vor Ablauf des Visums von Kaupo bis zur Grenze? Wie ist das eigentlich, so ganz ohne Navi und also nur mit Karte durch die Welt zu kutschen, durch Weiten, die schon sehr an Sibirien erinnern? Und was passiert in diesen Weiten, wenn das Benzin knapp wird? Setzt man sich einfach auf das Selbstgebaute Fluggerät eines fast fremden Menschen, um die Welt von oben zu sehen?

Die Antworten gibt es ganz bald.

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Auf dem Landweg nach New York - Etappe 2 - Teil III

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Vielleicht lag es daran, dass ich wochenlang nichts von den leavinghomefunktion – Leuten gehört habe, dass meine Nachrichten nicht beantwortet wurden, dass kein Anruf kam und selbst die kurzen Twitter-Nachrichten die auf Facebook ihre Verbreitung finden eher sporadisch waren, dass ich neulich Nachts von Elisabeth träumte. Die nämlich tauchte urplötzlich in Jena auf, wo ich mich gerade aufhielt. Wir trafen uns zufällig, die Freude war groß und sie fragte mich, ob sie nicht ein, zwei Wochen bei mir schlafen könne. Sie sei hier, um einige Dinge zu regeln, da vieles nicht nach Plan läuft auf der Reise zum Fernziel New York.

Vielleicht war es auch nur Zufall, aber an Zufälle wie solch einen glaube ich im Grunde nicht. Und wahrhaft: problemlos verliefen die letzten drei Etappen keinesfalls. Und weswegen nun genau am darauf folgenden Tag mein Telefon klingelte, die Nummer auf dem Display mir verriet, dass hier der lang ersehnte Anruf eingeht, nun, man kann es Schicksal nennen, den Traum eine Vorhersehung schimpfen, oder an eben einen Zufall glauben, vielleicht aber auch an energetische Felder die ja Distanzen zu überbrücken imstande sein sollen, die sich unserer Vorstellungskraft zu entziehen vermögen.

Im Grunde ist es aber auch völlig egal, warum, weshalb, wieso dieser Anruf am Tage nach meinem Traum stattfand. Er fand statt und das ist das Wichtige.

Das Telefon klingelte also, was mir zunächst ein bisschen peinlich war, saß ich doch justament an der Kaffeetafel des schwiegerväterlichen Geburtstagszeremoniells. Aber das musste mir egal sein. Ich nahm an, verlangte eilig gestikulierend nach ein paar Notizzetteln und einem Stift und verzog mich in die hinterste Ecke der Terasse, um genug Aufmerksamkeit aufbringen zu können, die ich wahrlich brauchte. Fast zwei Stunden sprach ich mit Elisabeth und Johannes und Staunen, Lachen, Mitleiden wechselten sich untereinander ab, denn was Elle mir im Traum erzählte war nicht (nur) ein Hirngespinst meiner Gedanken sondern tatsächliche Realität.

Drei Tage für hundert Kilometer – Als wolle Georgien den Tross nicht freigeben

Natürlich beginne ich stets mit der fragenden Höflichkeitsfloskel „Wie geht’s euch?“ die Elisabeth mit einem „Inzwischen wieder gut, um nicht zu sagen, sehr gut!“ Ich höre ihr Lachen zwischen den Worten und ahne noch nicht, dass dies wohl der Ausdruck einer Art Aufatmen nach Strapazen ist.

Unsere Freunde seien nun schon geraume Zeit in Kasachstan, aber das Wie des Dorthinkommens, das mir nun berichtet wird, liest sich wie von höherer Macht gesandte Pechsträhne. Irgendwer wollte wohl die Probe(n) aufs Exempel statuieren und den fünf Fahrenden ihr Allerletztes herauskitzeln, zu erfahren, ob sie wirklich gewappnet sind für die kommenden Etappen durch die Mongolei, durch Sibirien und Alaska.

Aus dem letzten Bericht wissen wir, dass der Start zur nächsten Etappe nach der Winterpause im Grunde kein wirklicher Start war, weil Kaupos Paiere irgendwo hängen geblieben sind. Ohne Papiere keine Ausreise, also saßen die Fünf im Rohbau eines Freundes aus Tserowani fest, nutzten die Zeit, um zu schrauben, Fußball mit der Ortsjugend zu spielen und Bürokram zu erledigen.

Geduld ist je bekanntlich eine Tugend, wenn aber die Zeit eines begrenzten Visums kneift, sind Geduld und Gelassenheit eher fehl am Platze. Und nach etlichen Tagen des Wartens entschied man sich, schlichtwweg ein neues Visum für Kaupo direkt in Georgien zu beantragen, damit man endlich losfahren kann. Gesagt getan, die Papiere sind vollständig, die Motorräder beladen, die Klamotten sitzen, die Kickstarter werden zum letzten Mal in Tserowani gen georgische Erde getreten und auf geht’s im knatternden Quintett in Richtung russische Grenze. „Endlich“ sagt Elisabeth „konnten wir los!“

Ich kann mir gut die Erleichterung vorstellen, die sich breit machte, die Freude, wieder auf der Straße zu sein, dem Ziel Stück für Stück näher zu kommen, auch, wenn das natürlich noch in weiter Ferne liegt. Ich kann mir gut vorstellen, wie sich die Bilder des Grenzübertritts nach Russland allmählich in festen Gedankenbildern manifestieren und man sich schon durch die kasachische Steppe fahren sieht. Bald, sehr bald wird es soweit sein, es sind ja nur einhundert Kilometer. Pustekuchen!

Elisabeth erzählt lebhaft, dass immer und immer wieder eine der Maschinen irgendeinen Defekt hatte, dass ständig irgendwo Halt gemacht werden musste und kleinere und größere Reparaturen von Nöten waren, um weiter zu kommen. Die Leichtigkeit der ersten Etappe scheint dahin, das Vorankommen vor der Winterpause war wohl zu gut, um da anknüpfen zu können.

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Wir haben ganze drei Tage gebraucht, um die Distanz von knapp hundert Kilometern zurückzulegen, weil ständig irgendwas anderes kaputt war“ sagt Elisabeth in einem genervten Ton der gedanklichen Nachwehen. Hauptsächlich schwächelte „Susanne Schweppches“, das Motorrad von Johannes und erfuhr einen etappenweisen Austausch von fast allem, bis der „Telefonjoker“ herhalten musste, weil nach dreißig Stunden Schrauberei noch immer keine wirkliche Verbesserung in Sicht war. Sandro, ein Freund der Fünf aus Tiflis erhörte den Notruf und eilte herbei, der Sache auf den Grund zu gehen und wurde fündig. Vorerst.

Und so schraubten sich die Gespanne nebst ihrer am Rande der Verzweiflung befindlichen Steuermänner und -Frauen in den Kaukasus.

Kurz vor der georgischen Stadt Kazbegi in etwa 2000 Meter Höhe ist es dann Kaupos Maschine, die den fahrenden Dienst verweigert. „Batterieladestand im Keller“ ist auf der Website leavinghomefunktion.com zu lesen und damit liegt er, der Batterieladestand, direkt neben der kollektiven Stimmung.

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Weiter heißt es:

Es ist Tag 3 der zweiten Etappe und unser Streckenreckord liegt bei wahnwitzigen 60 Kilometern. Wir haben gerade alle keine Kraft mehr, so sehr wünschen wir uns in das Land, wo die Ersatzteile vom Himmel regnen – Russland. Überuns fliegen Bussarde, die Sonne scheint, es ist wunderschön hier oben im Schnee. Wir haben Zeit diese Aussicht zu genießen, denn zur Grenze werden wir es heute wieder einmal nicht schaffen – Schuld trägt eine kaputte Lichtmaschine.“

Also wieder das im Gepäck wohl nicht allzu tief vergrabene Werkzeug raus und ans Werk, der Endgegner wartet. Die russische Grenze. Einen Tag später ist es dann auch soweit und von nun an könnte es eine Fahrt ins Glück werden, eine unbeschwerte Reise durch das Paradies der Uralanten. Könnte….

Der Kontrollposten ist zu erahnen im Abstellen an die Kilometerlange Warteschlange. LKWs reihen sich hinter LKWs, PKWs stehen brav hinter PKWs, dazwischen irgendwo vier Uralmotorräder mit deutschen Kennzeichen. Eine Vorhut bilden Anne und Kaupo, die etwas weiter vorn in der Schlange stehen und als sie am Checkpoint stehen von weitem eine tiefe Besorgnis in ihren Gesichtern zu lesen ist. „Wir standen ja weiter weg in der Reihe und haben schon gesehen, dass da irgendwas nicht stimmt, denn Anne und Kaupo liefen auf einmal aufgeregt hin und her.“ sagt Elisabeth am Telefon. Schnell stellt sich heraus warum. Da das Motorrad des Esten auf Anne angemeldet ist, gibt es kein Passieren, denn so geht das nicht. Es darf nur ein Fahrzeug pro Person nach Russland geführt werden und es gibt im Grunde nur eine reale Option: zurück nach Kazbegi, dort einen Notar suchen, der beglaubigt, dass Kaupo ganz offiziell mit Annes Ural fahren darf. Fatal, denn Kaupos Russlandvisa läuft in fünf Tagen ab. Nochmal zurückzufahren würde einen enormen bürokratischen Aufwand bedeuten und das Weiterkommen erneut extrem verzögern.

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Es dauert einige Zeit, Elisabeth schätzt 5-6 Stunden, bis das Aufregen und Diskutieren mit Grenzbeamten Wirkung zeigt, denn plötzlich ist alles kein Problem mehr. Inzwischen wissen alle, die sich im Grenzbereich aufhalten, wer die Fünf sind, wo sie her kommen, weswegen so eine Aufregung herrscht und wer von den weiblichen Teilnehmern des Projektes verheiratet ist und wer nicht.

Beherrsche den Kaukasus – Freud und Leid in Russland“

Aufatmen und auf Richtung Wladikawkas. Entlang der russischen Heeresstraße geht es durch die Schluchten des beeindruckenden Kaukasus.

Ganz fremd ist unseren Freunden das Industrie- und Kulturzentrum mit seinen knapp 312000 Einwohnern nicht, waren sie doch im vergangenen Jahr schon einmal hier. Die Hauptstadt der russischen Teilrepublik Nordossetien-Alanien heißt übersetzt so viel wie „beherrsche den Kaukasus“ und dieser Name lächelt sein Motto hämisch in die Zukunft. Geographisch überblicken und Routen planen können die Fünf nur noch analog, da kurz vor der Grenze das Navigationsgerät unbenutzbar wurde.

Ich muss schon wieder an das Wort Schicksal denken und automatisch schiebt sich sein Gegenpart, die Vorhersehung, in meinen Kopf. Beim Start nach Russland ging es etwas hektisch zu, die noch immer im Keller vor sich hin siechende Laune machte das Ganze nicht besser und Johannes war wohl nicht ganz bei der Sache, als er das Navi an seiner Ural befestigte, denn der Wortstamm FEST war in diesem Fall nur ein Wortstamm, nicht aber ein Zustand. Und so löste sich der kleine aber wichtige Helfer vom Lenker, fiel zu Boden und wurde so zum Opfer eines dicht hinter Johannes fahrenden 40 Tonners, der es mir nichts dir nichts zermalmte.

Hungrig und müde kommen die Fünf an einem Bistro an und sind schnell -wie so oft- Magnet und Anziehungspunkt. Eine riesige Menschenmenge versammelt sich vor und in dem Laden, man wird eingeladen auf einen Schnaps und stößt nicht an, aber auf Unverständnis, denn das Klischee scheint sich zu bestätigen: wie, nicht trinken? Wir sind hier in Russland!

Unter den vielen Neugierigen Menschen, ein Motorradfahrer, der vor Begeisterung einen englisch sprechenden Freund anruft. Sergej heißt der und wird sich sehr bald als eine wichtige Bekanntschaft erweisen. Doch zunächst wird gegessen, geredet und eine Ersatzteilliste erstellt, denn Sergej hat Freunde in Astrachan, eine große russische Metropole an der Wolga.

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Mehr und Mehr Menschen versammeln sich, darunter eine Polizeistreife, die demonstrativ ihre Kalaschnikows vor sich hertragen, der Chef des örtlichen Bikerclubs, der so begeistert von dem Projekt ist, dass er, Kaupo, und Elisabeth neue Stoßdämpfer schenkt und einige wirklich stockbetrunkene Männer, die die Fünf förmlich zu sich nach Hause zerren wollen. Ein Grund zur Flucht und so geht es auf in Richtung Beslan.

Kaum aus der Stadt stoppt die erste von bald noch einigen folgenden Polizeikontrollen den Tross und auch, wenn Anne und Elisabeth ein wenig russisch verstehen, verstehen sie kein Wort und überhäufen die Beamten schlichtweg mit Fragen über die Beschaffenheit der Straßen und der besten Route nach Astrachan. Es gäbe wohl, antwortet einer der Uniformierten, zwei „Straßen“. Einen Asphaltierten und einen eher Schlechten, den man eigentlich nur als Feldweg bezeichnen kann. Es liegt auf der Hand, dass sich die Fünf für Asphalt entscheiden und dabei einen Umweg von 80 Kilometern in Kauf nehmen.

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Weiter geht’s, on the road, mit der Zeit im Nacken, denn wie schon erwähnt, haben sie nur noch fünf Tage, bis Kaupos Visum abläuft, Russland im Rücken liegen muss und Kasachstan erreicht ist. Aber so einfach das hier auch klingt, so schwer ist es in der Realität. Pannen, Straßensperren, Pannen, Umwege, Pannen und noch mehr Pannen warten auf Anne, Johannes, Elisabeth, Kaupo und Efy.

Und wie das Zwischenziel Grenze Russland Kasachstan auf die sprichwörtlich letzte Sekunde erreicht wird, erfahren wir ganz bald…

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