Auf dem Landweg nach New York - Teil I

30.000 Kilometer - 2 Jahre - 5 Menschen - 5 Ural Motorräder

…so überschreiben eine Hand voll Abenteurer ihre Homepage und erzählen vorab, was genau sie vorhaben.

Was wir wollen ist, unseren Alltag zu verschieben, das gewohnte Umfeld verlassen, um unser Leben für einen begrenzten Zeitraum in ungewisses, fremdes Territorium zu verlagern. Was wir planen, ist kein Ausstieg aus unserem Arbeitsleben sondern die Verschiebung unserer künstlerischen Arbeit vom Atelier in eine Art „mobiles Studio“. Wir möchten es wagen, auf uns gestellt einen Weg zu gehen, über die Grenzen des uns Bekannten hinaus. Die Herausforderung besteht nicht nur im Kontakt mit anderen Kulturen oder einer waghalsigen, endlosen Schotterpiste, sondern auch in der Auseinandersetzung mit uns und dem, was wir wollen und können. „

Als ich gestern auf die Seite stieß, die eigentlich noch gar nicht online sein sollte, pochte mir das Herz bis zum Hals. Eine typische Reaktion auf eine Emotion, die mich nicht selten überkommt, wenn ich von derart großartigen Projekten erfahre. Neid.

Nun ist Neid in meinem Verständnis nicht gleich Missgunst, im Gegenteil. Nicht nur, weil ich zwei der „Alltagsverleger“ flüchtig kenne und einer des Quintetts ein langjähriger Freund ist, heißt Neid in diesem Fall schlicht: „die sind so großartig und offenbar furchtlos, ich würde gern mit.“

Und ich würde meinen Allerwertesten darauf verwetten, dass mindestens jeder Dritte Besucher dieser Seite eben diesen Satz leise aber bestimmt ausspricht: „Man, ich will auch!“

Die fünf Freunde aber machen es einfach. Eine Idee, ein Plan, ein bisschen Verrücktheit und los geht’s.

Klar braucht eine Reise dieses Ausmaßes Vorbereitung. Es geht nicht von heute auf morgen, einfach fünf alte Ural Maschinen beim Ural-Maschinen-Händler umme Ecke zu kaufen, drei Schraubenschlüssel in die Satteltaschen zu werfen, den Rucksack zu packen und den Kickstarter durchzutreten, um mir nichts dir nichts davon zu brausen.

Und warum eigentlich ausgerechnet die alten Ural Motorräder? Auf der Website steht dazu folgendes:

Wir haben uns für diese alten russischen Motorräder entschieden, da es uns auf das Reisen an sich ankommt. Die Art und Weise, wie man sich in einem Land fortbewegt, spielt eine wesentliche Rolle und es beeinflusst im Wesentlichen, wie man die jeweilige Umgebung wahrnimmt und welchen Menschen man begegnet. 

Aber fangen wir mal am Anfang an, denn so ist das ja üblich.

Als vor vier Jahren eine Künstlergruppe in Halle/Saale aufbrach, auf Simson S50 Mopeds nach Indien zu fahren, allerhand zu erleben und während dessen zu schreiben, zu zeichnen, zu fotografieren, ahnte noch keiner, dass etwas später ein Verleger auf sie zukommen würde, weil er die Story zu einem Buch machen wollte.

Und die Künstler wussten auch nicht, dass aus der Spinnerei, mit ollen Motorrädern nach New York zu fahren, tatsächlich eines Tages ein reales Projekt werden würde.

Inzwischen gibt es eine RoadStory mit dem Titel „Gedacht Gemacht“ (Edition Monsenstein und Vannerdat) und fünf alte Knatterkisten, die in diesen Tagen fit gemacht werden. Es gibt Ideen, Vorhaben, Pläne und Begeisterte, eine Homepage und bald sogar ein eigenes, professionell entstandenes Crowdfounding-Video.

Und klar, Ideen haben wir alle. Großartige Ideen, Ideen die nach Zukunft und Reichtum klingen, oder Abenteuer und Freiheit, Ideen, die Erfolg versprechen und in ihrer Genialität jede vorher gewesene übertreffen. Aber wer setzt um, was in seiner gedanklichen Entstehung nicht selten einer Spinnerei entspringt, ein unglaubliches Gefühl von Genius verbreitet und euphorisch macht?!

Wie viele Ideen sterben an einer scheinbaren Unmöglichkeit?! Hier fehlt das Geld, da fehlt das Material, dort ist Personal knapp und überhaupt… ach was.. das gibt’s bestimmt schon und wer will das wirklich wissen, was ich, was wir, machen/n?

Und machen ist das markante Stichwort. Denn die Schwelle, die die erste Hürde ist und selten überschritten wird heißt: einfach machen!

Du brauchst nicht viel für so ein Projekt! Du brauchst nur eine Idee und den festen Wille, das dann auch durchzuziehen!“ erzählt Johannes mir im Gespräch, zwischen dem dritten und vierten Bier und einer Armada halb gerauchter Zigaretten, die einen kleinen Mount Everest auf dem viel zu kleinen Aschenbecher bilden.

Es ist ein angenehmer Sommerabend. Der Regen der letzten Tage hat nachgelassen und das Klima von 32 auf angenehme 24 Grad abgekühlt. Johannes wollte eigentlich nicht lange bleiben, ein Bier, dann gleich wieder los. Es gibt noch viel zu tun und das, was da im letzten halben Jahr läuft, ist alles andere als Abenteuer und Freiheit. Fünf Ural-Maschinen laufen nicht mit Wasser, Reparaturen werden kommen und müssen bezahlt werden und irgendwie will man ja auch nicht nur von Beeren, Pilzen und Kräutern leben, die zu finden zum Beispiel in Sibirien eher unmöglich ist.

Ich stelle weiter Fragen und es werden noch einige mehr, denn ich will viel wissen, ja, ich will alles wissen. Wenn ich schon nicht mit kann, will ich wenigstens im Geiste dabei sein. Den Anfang habe ich schon verpasst, also gilt es jetzt, aufzuholen. Und das heißt aufsaugen, Fragen stellen, nachhaken, noch mehr Fragen stellen und irgendwie jedes kleinste Detail erfahren.

Und so verstricken wir uns in einem langen Gespräch durch die halbe Nacht. Ein angenehmes Gespräch in einer angenehmen Nacht mit einem angenehmen Menschen.

Vor einem halben Jahr etwa wurde die Idee konkreter. Wir begannen, ein Konzept zu erarbeiten.“ Johannes zündet sich eine weitere Selbstgedrehte an und erzählt, was alles an einem solchen Vorhaben hängt, wie viel Arbeit im Vorfeld erledigt werden muss, dass die Zeit knapp wird aber soweit alles sicher ist, dass der Termin zum Aufbruch steht.

Ob sie denn nicht wenigstens ein bisschen Angst hätten, frage ich ihn, wo sie doch ihr Weg auch durch Krisengebiete führt und durch Länder, an deren Klima schon andere scheiterten. „Ach was!“ antwortet Johannes und erzählt, dass Angst nur eine Bremse ist. Später räumt er ein, dass Respekt schon eine Rolle spielt, gerade was das Auftreten von unbefangenen Mitteleuropäern in diversen Ländern angeht, aber sie seien alle gut vorbereitet und lassen sich durch Eventualitäten nicht verwirren.Ob nun eingeschneit in einer Berghütte in Georgien, Wolfswache an der Lagerstadt in Sibirien oder von kriegerischen Wirren eingeengt in in den ehemals sowjetischen Gebieten, „wir kriegen das schon hin!“ witzelt der smarte 30jährige.

Im Radiointerview mit dem Sender MDR Figaro sagt Johannes zu Thema Angst: „Viele Sachen, vor denen man Angst hat oder was ungewiss ist, das beginnt irgendwie am Anfang ziemlich schnell, sich aufzulösen. Von wegen Schlafplatz oder im Dunklen oder… ich weiß nicht, was einem für Ängste da durch den Kopf schwirren, aber bei den ersten Reisen hat das schon angefangen, dass es viel leichter ist, als man es sich vorstellt, wie zum Beispiel: man hat immer überall Hilfe gekriegt, als wir mit dem Fahrrad los gefahren sind und man einen Platten hatte, oder wir hatten keine Ersatzteile, man hat immer schnell freundliche Leute getroffen, die einem geholfen haben. Es gab nie eine Situation, in der es wirklich gefährlich wurde.“

Und so ein bisschen „Risiko“ gehört ja zu jedem Abenteuer, auch, wenn Johannes mehrfach betont, dass es keineswegs darum geht „einfach in der Weltgeschichte herumzutingeln. Wir wollen arbeiten und unsere Arbeit eben dahin verlegen, wo sie für gewöhnlich nicht stattfindet.“

Auf der Homepage heißt es dazu:

Das Verlangen nach ungefilterter Information

Dem allen voraus geht der Drang nach Herausforderung und die Faszination am Unbekannten, auf der Suche nach Werten, Grenzen und ungefilterter Information. 

Schritt für Schritt, Meter um Meter – je weiter wir uns von der Gegend, die wir „zu Hause“ nennen, entfernen, vervollständigen wir unser kryptisches Bild von der Welt. So pathetisch dies auch klingen mag, was zählt, ist das, was wir sehen, denn darauf bauen (wir) unsere Bilder.“

Am 7.9. 2014 fällt der Startschuss. Und eins steht fest: ich werde nicht nur dabei sein, wenn aus fünf Boxer Motoren der Donner der Freiheit röhrt, ich werde die fünf vorher noch einmal in Halle besuchen, mich ein, zwei Tage bei ihnen einquartieren und quatschen und fragen, und bewundern und schreiben, denn ich weiß, euch interessiert das Ganze mindestens genauso, wie mich.

Die HomePage: http://www.leavinghomefunktion.com/

bei Facebook: https://www.facebook.com/leavinghomefunktion?hc_location=timeline

Anderes:

https://soundcloud.com/leavinghomefunktion/mdr-figaro-interview-vom-02082014-elisabeth-im-gesprach-mit-jasmin-galonski

http://www.mdr.de/mdr-figaro/lebensart/audio928436.html

Kommentar schreiben

Kommentare: 0