Auf dem Landweg nach New York - Etappe 2 - Teil III

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Vielleicht lag es daran, dass ich wochenlang nichts von den leavinghomefunktion – Leuten gehört habe, dass meine Nachrichten nicht beantwortet wurden, dass kein Anruf kam und selbst die kurzen Twitter-Nachrichten die auf Facebook ihre Verbreitung finden eher sporadisch waren, dass ich neulich Nachts von Elisabeth träumte. Die nämlich tauchte urplötzlich in Jena auf, wo ich mich gerade aufhielt. Wir trafen uns zufällig, die Freude war groß und sie fragte mich, ob sie nicht ein, zwei Wochen bei mir schlafen könne. Sie sei hier, um einige Dinge zu regeln, da vieles nicht nach Plan läuft auf der Reise zum Fernziel New York.

Vielleicht war es auch nur Zufall, aber an Zufälle wie solch einen glaube ich im Grunde nicht. Und wahrhaft: problemlos verliefen die letzten drei Etappen keinesfalls. Und weswegen nun genau am darauf folgenden Tag mein Telefon klingelte, die Nummer auf dem Display mir verriet, dass hier der lang ersehnte Anruf eingeht, nun, man kann es Schicksal nennen, den Traum eine Vorhersehung schimpfen, oder an eben einen Zufall glauben, vielleicht aber auch an energetische Felder die ja Distanzen zu überbrücken imstande sein sollen, die sich unserer Vorstellungskraft zu entziehen vermögen.

Im Grunde ist es aber auch völlig egal, warum, weshalb, wieso dieser Anruf am Tage nach meinem Traum stattfand. Er fand statt und das ist das Wichtige.

Das Telefon klingelte also, was mir zunächst ein bisschen peinlich war, saß ich doch justament an der Kaffeetafel des schwiegerväterlichen Geburtstagszeremoniells. Aber das musste mir egal sein. Ich nahm an, verlangte eilig gestikulierend nach ein paar Notizzetteln und einem Stift und verzog mich in die hinterste Ecke der Terasse, um genug Aufmerksamkeit aufbringen zu können, die ich wahrlich brauchte. Fast zwei Stunden sprach ich mit Elisabeth und Johannes und Staunen, Lachen, Mitleiden wechselten sich untereinander ab, denn was Elle mir im Traum erzählte war nicht (nur) ein Hirngespinst meiner Gedanken sondern tatsächliche Realität.

Drei Tage für hundert Kilometer – Als wolle Georgien den Tross nicht freigeben

Natürlich beginne ich stets mit der fragenden Höflichkeitsfloskel „Wie geht’s euch?“ die Elisabeth mit einem „Inzwischen wieder gut, um nicht zu sagen, sehr gut!“ Ich höre ihr Lachen zwischen den Worten und ahne noch nicht, dass dies wohl der Ausdruck einer Art Aufatmen nach Strapazen ist.

Unsere Freunde seien nun schon geraume Zeit in Kasachstan, aber das Wie des Dorthinkommens, das mir nun berichtet wird, liest sich wie von höherer Macht gesandte Pechsträhne. Irgendwer wollte wohl die Probe(n) aufs Exempel statuieren und den fünf Fahrenden ihr Allerletztes herauskitzeln, zu erfahren, ob sie wirklich gewappnet sind für die kommenden Etappen durch die Mongolei, durch Sibirien und Alaska.

Aus dem letzten Bericht wissen wir, dass der Start zur nächsten Etappe nach der Winterpause im Grunde kein wirklicher Start war, weil Kaupos Paiere irgendwo hängen geblieben sind. Ohne Papiere keine Ausreise, also saßen die Fünf im Rohbau eines Freundes aus Tserowani fest, nutzten die Zeit, um zu schrauben, Fußball mit der Ortsjugend zu spielen und Bürokram zu erledigen.

Geduld ist je bekanntlich eine Tugend, wenn aber die Zeit eines begrenzten Visums kneift, sind Geduld und Gelassenheit eher fehl am Platze. Und nach etlichen Tagen des Wartens entschied man sich, schlichtwweg ein neues Visum für Kaupo direkt in Georgien zu beantragen, damit man endlich losfahren kann. Gesagt getan, die Papiere sind vollständig, die Motorräder beladen, die Klamotten sitzen, die Kickstarter werden zum letzten Mal in Tserowani gen georgische Erde getreten und auf geht’s im knatternden Quintett in Richtung russische Grenze. „Endlich“ sagt Elisabeth „konnten wir los!“

Ich kann mir gut die Erleichterung vorstellen, die sich breit machte, die Freude, wieder auf der Straße zu sein, dem Ziel Stück für Stück näher zu kommen, auch, wenn das natürlich noch in weiter Ferne liegt. Ich kann mir gut vorstellen, wie sich die Bilder des Grenzübertritts nach Russland allmählich in festen Gedankenbildern manifestieren und man sich schon durch die kasachische Steppe fahren sieht. Bald, sehr bald wird es soweit sein, es sind ja nur einhundert Kilometer. Pustekuchen!

Elisabeth erzählt lebhaft, dass immer und immer wieder eine der Maschinen irgendeinen Defekt hatte, dass ständig irgendwo Halt gemacht werden musste und kleinere und größere Reparaturen von Nöten waren, um weiter zu kommen. Die Leichtigkeit der ersten Etappe scheint dahin, das Vorankommen vor der Winterpause war wohl zu gut, um da anknüpfen zu können.

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Wir haben ganze drei Tage gebraucht, um die Distanz von knapp hundert Kilometern zurückzulegen, weil ständig irgendwas anderes kaputt war“ sagt Elisabeth in einem genervten Ton der gedanklichen Nachwehen. Hauptsächlich schwächelte „Susanne Schweppches“, das Motorrad von Johannes und erfuhr einen etappenweisen Austausch von fast allem, bis der „Telefonjoker“ herhalten musste, weil nach dreißig Stunden Schrauberei noch immer keine wirkliche Verbesserung in Sicht war. Sandro, ein Freund der Fünf aus Tiflis erhörte den Notruf und eilte herbei, der Sache auf den Grund zu gehen und wurde fündig. Vorerst.

Und so schraubten sich die Gespanne nebst ihrer am Rande der Verzweiflung befindlichen Steuermänner und -Frauen in den Kaukasus.

Kurz vor der georgischen Stadt Kazbegi in etwa 2000 Meter Höhe ist es dann Kaupos Maschine, die den fahrenden Dienst verweigert. „Batterieladestand im Keller“ ist auf der Website leavinghomefunktion.com zu lesen und damit liegt er, der Batterieladestand, direkt neben der kollektiven Stimmung.

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Weiter heißt es:

Es ist Tag 3 der zweiten Etappe und unser Streckenreckord liegt bei wahnwitzigen 60 Kilometern. Wir haben gerade alle keine Kraft mehr, so sehr wünschen wir uns in das Land, wo die Ersatzteile vom Himmel regnen – Russland. Überuns fliegen Bussarde, die Sonne scheint, es ist wunderschön hier oben im Schnee. Wir haben Zeit diese Aussicht zu genießen, denn zur Grenze werden wir es heute wieder einmal nicht schaffen – Schuld trägt eine kaputte Lichtmaschine.“

Also wieder das im Gepäck wohl nicht allzu tief vergrabene Werkzeug raus und ans Werk, der Endgegner wartet. Die russische Grenze. Einen Tag später ist es dann auch soweit und von nun an könnte es eine Fahrt ins Glück werden, eine unbeschwerte Reise durch das Paradies der Uralanten. Könnte….

Der Kontrollposten ist zu erahnen im Abstellen an die Kilometerlange Warteschlange. LKWs reihen sich hinter LKWs, PKWs stehen brav hinter PKWs, dazwischen irgendwo vier Uralmotorräder mit deutschen Kennzeichen. Eine Vorhut bilden Anne und Kaupo, die etwas weiter vorn in der Schlange stehen und als sie am Checkpoint stehen von weitem eine tiefe Besorgnis in ihren Gesichtern zu lesen ist. „Wir standen ja weiter weg in der Reihe und haben schon gesehen, dass da irgendwas nicht stimmt, denn Anne und Kaupo liefen auf einmal aufgeregt hin und her.“ sagt Elisabeth am Telefon. Schnell stellt sich heraus warum. Da das Motorrad des Esten auf Anne angemeldet ist, gibt es kein Passieren, denn so geht das nicht. Es darf nur ein Fahrzeug pro Person nach Russland geführt werden und es gibt im Grunde nur eine reale Option: zurück nach Kazbegi, dort einen Notar suchen, der beglaubigt, dass Kaupo ganz offiziell mit Annes Ural fahren darf. Fatal, denn Kaupos Russlandvisa läuft in fünf Tagen ab. Nochmal zurückzufahren würde einen enormen bürokratischen Aufwand bedeuten und das Weiterkommen erneut extrem verzögern.

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Es dauert einige Zeit, Elisabeth schätzt 5-6 Stunden, bis das Aufregen und Diskutieren mit Grenzbeamten Wirkung zeigt, denn plötzlich ist alles kein Problem mehr. Inzwischen wissen alle, die sich im Grenzbereich aufhalten, wer die Fünf sind, wo sie her kommen, weswegen so eine Aufregung herrscht und wer von den weiblichen Teilnehmern des Projektes verheiratet ist und wer nicht.

Beherrsche den Kaukasus – Freud und Leid in Russland“

Aufatmen und auf Richtung Wladikawkas. Entlang der russischen Heeresstraße geht es durch die Schluchten des beeindruckenden Kaukasus.

Ganz fremd ist unseren Freunden das Industrie- und Kulturzentrum mit seinen knapp 312000 Einwohnern nicht, waren sie doch im vergangenen Jahr schon einmal hier. Die Hauptstadt der russischen Teilrepublik Nordossetien-Alanien heißt übersetzt so viel wie „beherrsche den Kaukasus“ und dieser Name lächelt sein Motto hämisch in die Zukunft. Geographisch überblicken und Routen planen können die Fünf nur noch analog, da kurz vor der Grenze das Navigationsgerät unbenutzbar wurde.

Ich muss schon wieder an das Wort Schicksal denken und automatisch schiebt sich sein Gegenpart, die Vorhersehung, in meinen Kopf. Beim Start nach Russland ging es etwas hektisch zu, die noch immer im Keller vor sich hin siechende Laune machte das Ganze nicht besser und Johannes war wohl nicht ganz bei der Sache, als er das Navi an seiner Ural befestigte, denn der Wortstamm FEST war in diesem Fall nur ein Wortstamm, nicht aber ein Zustand. Und so löste sich der kleine aber wichtige Helfer vom Lenker, fiel zu Boden und wurde so zum Opfer eines dicht hinter Johannes fahrenden 40 Tonners, der es mir nichts dir nichts zermalmte.

Hungrig und müde kommen die Fünf an einem Bistro an und sind schnell -wie so oft- Magnet und Anziehungspunkt. Eine riesige Menschenmenge versammelt sich vor und in dem Laden, man wird eingeladen auf einen Schnaps und stößt nicht an, aber auf Unverständnis, denn das Klischee scheint sich zu bestätigen: wie, nicht trinken? Wir sind hier in Russland!

Unter den vielen Neugierigen Menschen, ein Motorradfahrer, der vor Begeisterung einen englisch sprechenden Freund anruft. Sergej heißt der und wird sich sehr bald als eine wichtige Bekanntschaft erweisen. Doch zunächst wird gegessen, geredet und eine Ersatzteilliste erstellt, denn Sergej hat Freunde in Astrachan, eine große russische Metropole an der Wolga.

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Mehr und Mehr Menschen versammeln sich, darunter eine Polizeistreife, die demonstrativ ihre Kalaschnikows vor sich hertragen, der Chef des örtlichen Bikerclubs, der so begeistert von dem Projekt ist, dass er, Kaupo, und Elisabeth neue Stoßdämpfer schenkt und einige wirklich stockbetrunkene Männer, die die Fünf förmlich zu sich nach Hause zerren wollen. Ein Grund zur Flucht und so geht es auf in Richtung Beslan.

Kaum aus der Stadt stoppt die erste von bald noch einigen folgenden Polizeikontrollen den Tross und auch, wenn Anne und Elisabeth ein wenig russisch verstehen, verstehen sie kein Wort und überhäufen die Beamten schlichtweg mit Fragen über die Beschaffenheit der Straßen und der besten Route nach Astrachan. Es gäbe wohl, antwortet einer der Uniformierten, zwei „Straßen“. Einen Asphaltierten und einen eher Schlechten, den man eigentlich nur als Feldweg bezeichnen kann. Es liegt auf der Hand, dass sich die Fünf für Asphalt entscheiden und dabei einen Umweg von 80 Kilometern in Kauf nehmen.

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Weiter geht’s, on the road, mit der Zeit im Nacken, denn wie schon erwähnt, haben sie nur noch fünf Tage, bis Kaupos Visum abläuft, Russland im Rücken liegen muss und Kasachstan erreicht ist. Aber so einfach das hier auch klingt, so schwer ist es in der Realität. Pannen, Straßensperren, Pannen, Umwege, Pannen und noch mehr Pannen warten auf Anne, Johannes, Elisabeth, Kaupo und Efy.

Und wie das Zwischenziel Grenze Russland Kasachstan auf die sprichwörtlich letzte Sekunde erreicht wird, erfahren wir ganz bald…

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