Auf dem Landweg nach New York - Teil II

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Teil II

Dreh dich selbst und du drehst alles“

Meine Ankunft in Halle – Aufgenommen in eine Familie

Nach einer ungemütlichen und umwegreichen Zugfahrt komme ich am Hallenser Hauptbahnhof an. Menschen schieben und drängeln und es scheint, als kenne niemand den Begriff „kollektive Intelligenz“, denn alle wollen die Ersten sein, an der Schleuse nach unten, am Tor zum Konsum, oder schlicht am Ausgang des Bahnhofes. Begrüßungszeremonien finden in der Menge statt und halten den „Verkehr“ zusätzlich auf.

Ich lasse mich aus der Tür der Bahn drücken und vom Pulk gen Ausgang treiben, als ich plötzlich Johannes entdecke, der etwas verloren am Rand der Stufen steht und die Gesichter scannt. Ich beobachte ihn eine Weile, bis ich mich aus dem Sog Richtung Treppe löse, um mich ihm zu zeigen. Herzliche Umarmung, fröhliches guten Tag und nichts wie weg hier.

Unter der Gleisen, ein Lob dem Kapitalismus, ein geöffneter Supermarkt. Zum Sonntag! Für einen ostdeutschen Kleinstädter wie ich einer bin, immer eine kleine Sensation. Korb, zwei Bananen, drei Äpfel und Intensivstop in der Getränkeabteilung, ein Auto fährt ja auch nicht ohne Sprit.

Vor dem Bahnhof der erste Schock. Ich suche die Reihe der parkenden Autos nach dem klapprigen Citroen ab, den Johannes fährt, der jedoch schließt einen pieckfeinen Audi auf. Ich kann meine Verwunderung nicht verbergen. Mein „Chauffeuer“ grinst und klärt auf: „Das ist das Auto meiner Mutter, die ist grad da.“ Los geht’s, mit dem Luxus auf vier Rädern durch Halle.

Wir halten vor einem heruntergekommenen, nichts desto weniger attraktiven Eckhaus und ich betrete, samt schwerem Rucksack und verräterisch klapperndem Plastikbeutel das „Büro“, wie Johannes mir sagt. „Seit wir nicht mehr hier wohnen, aber so viel zu tun haben, ist das quasi unser Büro. Bei uns zu Hause und im Atelier haben wir kein Internet, also sind wir eigentlich jeden Tag hier.

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Hier, im Parterre war wohl einst ein Laden. Das verraten die großen Schaufensterscheiben auf der linken Seite des länglichen Raumes. Gerade da, wo eben diese Scheibe endet, eine Kommode in Kniehöhe, auf der ein 22 Zoll TFT Monitor steht, an dem eine schlanke junge Frau mit dunklen, schulterlangen Haaren sitzt und Bilder bearbeitet.

Rechts der Tür, ein auf volle Breite ausgezogener, alter Holztisch auf dem zwischen vollen Aschenbechern, Wasserflaschen, Kaffeetassen, Studentenfutter und tafelweise Schokolade, zwei Notebooks stehen. An einem sitzt eine Mittzwanzigerin in alternativen Klamotten und malträtiert die Maustasten.

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Emsiges Treiben auch am hinteren Ende des Raumes. Auf einem grünen Sofa sitzen drei Mädels, jede hat einen Laptop auf dem Schoß. Ich erkenne Elisabeth, die alle Elle nennen und Johannes Mutter. Sie haben lässig die Füße auf zwei bereitgestellten Hockern abgelegt, die wohl, wenn sie nicht Ablage der Gehwerkzeuge sind, als Tisch genutzt werden.

Daneben, auf einem der drei zum Sofa passenden grünen Sessel, kauert Sven, der zweite der beiden männlichen Beteiligten an der Reise nach New York.

Überall sitzen und stehen Menschen, reden, schreiben, telefonieren, bearbeiten Bilder, erstellen Minigrafiken. Wahrlich, ein Büro, wenn auch ein recht alternatives.

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Das Basislager römisch eins – das „Büro“ in der Breiten Straße

Ich stelle meine Sachen ab und werde herzlich begrüßt. Hand geben und guten Tag sagen is nich. Hier wird man umarmt, wenn man herein kommt. Das ist nicht neu für mich, unangenehm aber ist es mir jedes Mal. Ich lerne die dreiundzwanzigjährige Lisa kennen, Svens Freundin, das „Küken“ im Quintett.

Anne, die ich ebenfalls zum ersten Mal sehe, heißt mich so herzlich willkommen, als kennen wir uns schon Jahre. Später erfahre ich, dass sie durch meinen ersten Artikel, mein Blog und Erzählungen von Elisabeth und Johannes, den ich ja nun wirklich bereits sehr lange einen Freund nenne, schon einiges über mich weiß.

Auch Effy ist mir bislang unbekannt. Die Zypriotin, die Johannes und Elle unlängst in Rotterdam kennenlernten, wo die Beiden für eine dortige Künstlerin arbeiteten und Effy eine Ausstellung initiierte. Kurzerhand entschloss sie sich, mit nach Deutschland zu kommen, als sie von dem Projekt der Fünf erfuhr. Seither erstellt sie die Grafiken für das Blog http://www.leavinghomefunktion.de. Zwar fährt sie selbst (im Beiwagen) nur bis Griechenland mit und verlässt dann dort die Gruppe, aber auch sie ist Feuer und Flamme und steckt intensive Arbeit während der Vorbereitungen in das Vorhaben.

Zur Begrüßung öffne ich mir ein Bier und stoße mit den anderen an. Dann zeigt mir Johannes das Haus und erklärt: „Vor sechs Jahren sind wir hier eingezogen. Eigentlich eine Glückssache, denn der Besitzer wollte bloß das Nebenhaus kaufen, sanieren und vermieten. Das hier kaufte er mit, wollte es abreißen und Parkplätze schaffen. Uns kam quasi der Städtebauplan und der Denkmalschutz zugute, denn nach dem Erwerb stellte sich heraus, dass dieses Gebäude nicht abgerissen werden darf. Und so konnten wir in diesen unsanierten Bau ziehen, für sehr wenig Miete und hier leben und arbeiten. 

Viel wurde repariert, umgebaut, vieles blieb wie übernommen und viel müsste eigentlich noch getan werden. Aber das ist nun nicht mehr Sache der Fünf, drei derer sind bereits ausgezogen und haben sich einige Straßen weiter eine kleine, noch billigere Wohnung gemietet, wo sie auf recht engem Raum die letzten Wochen mit einander verbringen. Allerdings ist die Wohnung ohnehin nur ein Schlafplatz, denn in den kommenden drei Tagen erhalte ich einen Einblick in den Tagesablauf:

Nach dem Aufstehen kurzes Sitin in der Küche. Dazu gibt’s Kaffee, wenn welcher da ist. Dann geht’s ins „Büro“. Mails checken, Texte schreiben, Blog und Facebookseite pflegen, Fotos und Filme bearbeiten, und unzählige Telefonate mit Vertretern der Presse führen.

Meist sind es Sven und Johannes, die dann ins Atelier fahren. Hier befindet sich das Kernstück der Reise: Die heiligen Hallen der Fortbewegung. Aber dazu später mehr.

Johannes – Düsenjets statt Hummeln

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Aber wer sind diese Fünf Menschen eigentlich? Wieso sind sie so scheinbar anders, als andere Menschen, die jeden Tag aufs Neue in die Fabrik, ins Büro, die Werkstatt, Klinik, Hotel oder wohin auch immer gehen, ihre Arbeit verrichten, um anschließend zu Hause vorm Fernseher, oder (im besten Falle) mit einem Buch in der Hand einschlafen, Kinder hüten, Essen kochen, und am nächsten Tag das Selbe tun, und am nächsten, und wieder am nächsten, eben: ein „ganz normales Leben“ führen?

Was ist es, das die Fünf so offensichtlich einzigartig macht? Und überhaupt, was haben sie bis jetzt getan?

Zunächst sorge ich mit diesen Fragen für kollektives Gelächter. Ich erfahre, dass sie bei Weitem nicht die Einzigen sind, die solch abenteuerliche Reisen bewältigen. Klar, von dem ein oder anderen Abenteurer hört man ab und an in der Presse. Dennoch kann ich an einer Hand abzählen, wie oft ich über solche Nachrichten stolpere. Offenbar allerdings sind es wesentlich mehr „Verrückte“, als ich bisher dachte.

So „unnormal“ scheint das alles also gar nicht zu sein. Einziger Anhaltspunkt für mich und diesen meinen Irrglauben: Ich kenne Johannes schon sehr, sehr lange. Ich traf ihn in den Neunzigern zum ersten Mal beim einzigen Bierdealer im Ort, der nach 22.00 Uhr noch auf und, im Gegensatz zur Tanke, halbwegs moderate Preise hatte. Er „Nachwuchs-Punk“, ich schon etwas länger im Geschäft.

Wir kamen ins Gespräch und wurden Freunde.

Ob das alternative Projekt „T(h)eater“ in Pößneck ein Auslöser für die spätere Künstlerkarriere ein entscheidender Baustein war, weiß ich nicht, jedoch gilt zu sagen, dass Johannes hier schon früh mit Kunst in Berührung kam. Einige Ausstellungen organisierten wir hier in den Jahren 2001 -2003, gemeinsam mit einigen anderen vorwiegend jugendlichen Menschen.

Später wohnten wir ein Jahr lang zusammen, bis er nach Flensburg zog, um dort eine Ausbildung zum Holzbildhauer zu absolvieren, die er als Bundessieger mit dem besten Gesellenstück abschloss.

Anschließend ging er nach Halle/Saale, um hier an der Burg Giebigenstein im Bereich Bildhauerei zu studieren. Sein Diplom im Studiengang Plastik erhielt er im Jahr 2013. Seither ist er freischaffender Künstler und als solcher bereits mit einigen Preisen bedacht.

Viel habe ich mit Johannes erlebt. Ob der Roadtrip von Pößneck über Dresden, Jena nach Freiburg, der eigentlich ein Flug in den Süden werden und, weil wir kein zufriedenstellendes Ziel fanden, mit einem völlig lebensgefährlichen Auto nach Frankreich gehen sollte, wo wir allerdings nie ankamen, oder feuchtfröhliche Zugfahrten an die Ostsee, die für Schaffnerinnen und Schaffner stets eine Tortour waren, Trinkgelage, die unter Planen an Stränden stattfanden, oder trinkfeste Wanderungen an der Saale. Spaß hatten wir immer.

Dann verlor ich Johannes, als er nach Halle ging, einige Zeit aus den Augen und in dieser Zeit entwickelte er einen ausgeprägten Sinn für Abenteuer und Reisen. Mit Simson Mopeds nach Indien, mit einem Segelboot, aber kaum Segelerfahrung über die Ostsee, mit dem Fahrrad in die Türkei…. Johannes ist nicht nur Künstler, sondern ein Abenteurer vor dem Herren.

Und das liegt ihm auch im Blut. Schon damals fand er selten Ruhe, war er der Zappelphilipp, der immer und überall noch Einen draufzusetzen wusste. Ruhe fand er einzig -so mein Eindruck- beim Zeichnen. Da kam er runter. Und das scheint auch heute noch so. Der Dreißigjährige mit dem dunklen Wuschelkopf hat keine Hummeln im Allerwertesten, sondern Düsenjets, die ihm ruhiges Sitzen kaum möglich machen.

Seine Hände sind stets in Bewegung, selten still und sein Kopf denkt Dinge, die andere Menschen nicht einmal träumen.

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Irgendwo zwischen Pipi langstrumpf und Niels Holgersson“

Zurück zum „Büro“.

Inzwischen sitze ich in einem bequemen Ohrensessel Marke „alter Professor mit Pfeife im Mund gibt Arte ein Interview über die Philosophie der Frankfurter Schule“.

Die Fünf arbeiten emsig, während ich mir die Presseliste betrachte, die an der gegenüberliegenden, weiß getäfelten Wand hängt. Hunderte Namen und Kontaktdaten von Zeitschriftenredaktionen, Fernseh- und Radiosendern auf einigen ausgedruckten A4 Seiten. Nur wenige mehr, und es könnte eine dicht beschriebene Wandtapete sein. Einmal mehr wird mir das Ausmaß an vorbereitender Arbeit bewusst. Und das ist nur ein Teil dessen, was noch gemacht werden muss.

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Ich frage Elisabeth, ob sie gewusst haben, was alles auf sie zukommen wird, damals, vor etwa einem halben Jahr, als der Trip von einer Idee zur konkreten Formulierung wurde. Sie lacht und erzählt mir, dass keiner auch nur geahnt hatte, was da für eine Lawine ins Rollen gebracht werden würde.

Ein Antrieb der Fünf, all diese organisatorischen Strapazen zu bewältigen, ist ihre Botschaft:

Unser Konzept ist einfach: wir sind jung, kreativ und wild und werden was erreichen, wenn wir was bewegen.

Die Botschaft, die wir bei allen unseren Projekten auf die Mensch übertragen möchten, ist:

Mach was, starte, dreh dich selbst und du drehst alles!“

Junge Leute, die in ihrer Jugend zu viele abenteuerliche Kinderbücher gelesen haben und nicht glauben können, dass an den ganzen Geschichten nichts Wahres dran sein soll, wollen wir ansprechen. Ich würde uns nicht unbedingt mit dem Märchen „Einer der auszog das Fürchten zu lernen“ beschreiben, ich würde uns eher irgend wie zwischen Pipi Langstrumpf und Niels Holgersson ansiedeln.

Für uns ist es wichtig, ein Ziel zu haben, mag es auch noch so hoch gegriffen und utopisch sein.

Das Erreichen dieses Ziels ist es ein Versuch, unsere Gefühle und Gedanken zu bündeln und auf einen Nenner zu bekommen. Die Frage an die Leute ist: Haben sie schon mal versucht, mit der Nase ihren Ellenbogen zu berühren? Sollten sie mal machen! Sie werden sehen, dass es unter normalen Umständen nicht möglich ist.Und doch kann man diesem Versuch etwas abgewinnen. Man wird feststellen, dass sich trotz des letztendlichen Scheiterns des Versuches die Mühe doch gelohnt hat, man nun etwas schlauer ist.“

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Diese Worte beeindrucken mich. New York ist ein Ziel, und ja, es mag hoch gegriffen und utopisch klingen, bedenkt man, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Aber die Fünf sind guter Dinge und ein fester Wille ist der Rückenwind auf der beschwerlichen Fahrt in die US-Amerikanische Metropole. Ich verliere mich in Gedanken, während ich mir Notizen mache und werde durch das plötzliche Gewusel zurück in die Realität geholt.

Feierabend, denn irgendwann wird auch der ambitionierteste Künstler müde und hungrig.

Es ist bereits dunkel draußen, als wir das Büro verlassen, das kalte Licht der Neonröhren für heute erlischt und die Tür zugeschlossen wird.

Wir fahren in die Wohnung der Fünf, wo uns ein Königsmahl erwartet. Johannes Mutter tischt Klöße auf, dazu Gulasch, es gibt Bier, müde Gesichter und viele Fragen, die ich noch habe.

Die Antworten darauf und wie mein erster ganzer Tag mit den Künstlern aussieht, Näheres zu Anne, Elisabeth, Lisa und Sven und wie ich einen Einblick in einen „normalen Arbeits(wahn)tag und die Motorräder zum ersten Mal zu Gesicht bekomme, erfahrt ihr in Bälde, in einem weiteren Artikel, über die Macher vonhttp://www.leavinghomefunktion.com .

Schaut auf jeden Fall zwischendurch auf die Website, connectet euch mit den fünf Künstlern auf Facebook und unterstützt die Crowdfounding – Kampagne, die am 25. August 2014 startet.

https://www.facebook.com/leavinghomefunktion?ref=ts&fref=ts

M.Kruppe