Geschichten vom Kaff der guten Hoffnungen

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Edition Outbird


HörPROBEN:


LESEPROBEN:

Seltsame Begegnung

 

Ich war Kurierfahrer

und zuckelte seit Monaten jede Nacht

durch den Thüringer Wald.

Ich hatte stets ein Sixpack dabei,

um über die Nacht zu kommen

und überlegte schon seit ner Stunde,

mir ein Bier aufzumachen.

 

Spätestens nach dem Zweiten

fühlte ich mich wie der König der Straßen,

keine Menschenseele war um diese Zeit unterwegs.

Nachts schliefen die Leute,

Kneipen gab es keine hier oben

und Cops hatte ich auch noch nie gesehen.

 

Irgendwo kurz vor Suhl,

auf den Serpentinen,

die runter in diese Kessel-Stadt führen,

stand plötzlich hinter einer Kurve

ein riesiger Hirsch auf der Straße.

 

Ich ging in die Eisen

und kam mit quietschenden Reifen

drei, vier Meter vor ihm zu stehen.

Das juckte ihn gar nicht.

Er stand da wie eine Statue

und starrte mich aus seinen fünf-Mark-Stück-großen,

schwarz-braunen Augen an.

Ich starrte zurück

und bestaunte das majestätische Geweih.

 

Dieses Tier war von überwältigender Größe.

 

Er stand da,

starrte

und machte keine Anstalten,

weiterzugehen.

Die Straße war zu schmal,

es war nicht möglich,

ihn zu umfahren.

 

Da standen wir nun,

zwei Könige im Niemandsland

und blickten uns an.

Er im Licht meiner Scheinwerfer,

ich im Glanz seiner Größe.

 

„Abblenden!“ schoss es mir durch den Kopf.

Irgendwo hatte ich mal gelesen,

dass Wildtiere von grellem Licht

paralysiert werden.

Ich blendete also ab,

aber der Hirsch stand, wo er stand

und starrte mich an,

als wolle er mir etwas sagen.

 

Um uns der Wald, sein Reich,

die Straße das meine

und das Kräftemessen

schien zu seinen Gunsten auszugehen.

 

Ich schaltete das Licht aus.

Nichts geschah.

Ich schlug auf die Hupe,

der Hirsch stand und starrte.

Ich riss die Tür auf und schrie:

„Verpiss dich du dämliches Mistvieh!“

aber der Hirsch stand und starrte.

 

Resigniert drehte ich mir eine Kippe.

„Dann eben nicht.“, dachte ich und griff zum Sixpack

auf dem Beifahrersitz.

„Scheiß was drauf!“,

sagte ich und stieg aus dem Auto,

lehnte mich an die Front des Rapids,

steckte mir die Zigarette an,

öffnete das Bier

und prostete meinem Gegenüber zu.

 

Erst jetzt merkte ich,

wie ich zitterte.

Diese Novembernacht war nicht kalt.

Es war die Angst, die mich beben ließ

genauso

wie die Bewunderung für dieses imposante Tier.

Und ich fragte mich,

wie vielen Menschen solch eine Begegnung zuteilwird.

 

Wie viele Menschen legen sich im Wald auf die Lauer,

um einen Hirsch fotografieren,

oder töten

zu können?

Und was genau soll mir diese Situation hier sagen?

 

Ich trank noch einen Schluck,

zog an meiner Zigarette

und sagte:

„Hör zu Großer,

wir müssen eine Lösung finden.“

und hielt ihm die Flasche hin:

„Willste n Schluck?“

 

Hier und jetzt begriff ich,

wie klein ich eigentlich war,

wie schwach.

Aber das Bier machte mich mutig,

ich ging einen Schritt auf ihn zu

und hielt ihm die Flasche hin.

Uns trennten gerade noch zwei Meter.

 

Nun schien es, als nickte er mir zu.

Sein mächtiges Geweih wackelte leicht,

er trabte ganz langsam,

wie es sich für einen König gehört,

in den Wald.  

 


Eins für die Kinder

 

Ich saß im Runden Eck,

rauchte und trank gerade mein drittes Bier,

während der Himmel sich binnen weniger Minuten

von blau zu grau

zu grün und dann zu einem diabolischen Schwarz

färbte

und die Welt da draußen plötzlich

in einem tosenden Gewitter

unterzugehen schien.

 

Der Arbeiter,

der seit Stunden

den unteren Sockel des Hauses gegenüber

verputzte,

stand in der Eingangstür,

an den Rahmen gelehnt

und beobachtete,

wie sein Tagwerk

zähflüssig in den Rinnstein lief.

 

Der goldgelbe Strohhut triefte

und der Kopf, auf dem er saß,

bewegte sich

von links nach rechts,

während der Regen den Putz abwusch

und das rot leuchtende

Ziegelwerk wieder frei legte.

 

„Die ganze Scheiße für‘n Arsch!“,

bildete ich mir ein,

den Arbeiter denken zu hören.

 

Als der Regen nachließ,

trat der Arbeiter wütend

gegen seinen blauen Eimer,

der in hohem Bogen über die Straße flog

und fast einen parkenden FIAT traf.

 

Mit dem Fuß schob er seine Kellen zusammen,

rollte die Deckfolie ein

und schmiss sie auf den Pickup.

 

Völlig durchnässt

schlug er dann

mit den Armen aus

und schrie,

dass ich es bis hier hören konnte:

„Verdammte Scheiße!“

 

Ich fragte mich,

ob er wusste,

dass er beobachtet wurde.

Das spürt man doch oft.

 

Mir war danach,

rüber zu gehen,

ihm auf die Schulter zu klopfen

und ihn mit den Worten:

„Nimm‘s nich so schwer Kumpel.“

auf ein, zwei Bier einzuladen.

 

In diesem Moment lief eine junge Mutter

mit ihrer kleinen Tochter an dem Arbeiter vorbei.

Beide waren völlig durchnässt.

Die Kleine sprang lachend

in dem Rinnsal,

der sich auf dem Bürgersteig gebildet hatte

auf und ab

und rief, sich melodisch wiederholend:

„Es donnert, es donnert, der Himmel macht Krach.“

 

Ich stand inzwischen vor dem Runden Eck,

denn ich wollte dem Arbeiter tatsächlich

ein Bier ausgeben.

Die Kleine kam neben ihm zum Stehen

und sagte:

„Lach doch mal Onkel.

Es regnet so schön,

da wachsen die Blumen.“

 

Da

beugte er sich zu ihr runter,

sagte etwas, das ich nicht verstand,

tätschelte dem Mädchen den nassen Kopf.

Und als die beiden weitergingen,

räumte er seine Kellen in den Eimer,

sah Mutter und Tochter nach,

stemmte die Hände in die Hüften,

schüttelte erneut den Kopf

und lächelte.


Auszug aus:

Der rote Ronny

Ich saß wie so oft in meiner Stammkneipe, damals, als es in diesem Kaff noch eine Kneipe gab, in der man rauchen durfte. Ich trank gerade mein drittes Bier, als der rote Ronny reinkam, sich an die Bar setzte und ein Weizen und einen Klaren bestellte.

Bevor er vor gut einem halben Jahr sturzbetrunken im Runden Eck auftauchte, hatte ihn niemand zuvor in dieser Stadt gesehen. Er setzte sich direkt zu uns an den Stammtisch und erzählte allen seine Lebensgeschichte, die so phantastisch war, wie ein Roman von Terry Pratchet.

 

Und wie Säufer nun einmal sind, wenn sie ihre besten Jahre hinter sich haben, ging er uns gehörig auf die Nerven. Er sprach undeutlich, aber schnell, wiederholte alles dreifach, vierfach, erzählte etwas von einer Spedition, die ihm mal gehörte, von einem dicken Konto und einer Frau in Thailand, die er vor drei Jahren geheiratet habe. Wir glaubten ihm kein Wort, gingen aber dennoch auf ihn ein und heuchelten Anteilnahme an seiner Geschichte.

 

So macht man das doch? Dich schwafelt ein volltrunkener Fremder mit Stories zu und du tust so, als glaubst du ihm jedes seiner Worte. Du sprichst mit ihm, tust erstaunt, wo er Erstaunen erwartet, tust mitleidig, wo er Mitleid erwartet, du tust erfreut und überrascht, wo er Freude und Überraschung erwartet. Du schämst dich für ihn, weil er so hackedicht ist und sich blamiert. Du schämst dich für dich selbst, wegen deiner Abwertung. Und du schämst dich, weil du es nicht fertigbringst, ihm ins Gesicht zu sagen, dass du ihm kein Wort glaubst.

Niemand kannte seinen richtigen Namen, also tauften wir ihn Ronny. Denn "Ronny" war kein Name mehr, sondern spätestens seit der Elsterglanz-Paradoie auf den Film "300" der Inbegriff eines Klischee-Ossis mit mäßigem Intellekt. „Alles Nullen, de Ronnyfamilie“.

Ich will vorwegstellen, dass ich nichts gegen diesen Namen habe.

 

Ich weiß, wovon ich rede. Ich lasse mich seit der zweiten Klasse nur beim Nachnamen anreden, weil mein Vorname auch eher Körperverletzung, im Mindesten aber seelische Grausamkeit ist. Zumindest hier in Thüringen. Hier sagt man nicht Marko und spricht das ehrwürdig hochdeutsch, oder gar im ursprünglichen italienischen Klang, mit rollendem R.

Hier sagt man „Moorgou“ und mit Verlaub, das klingt nicht nur grausig, sondern kitzelt den Brechreiz, breitet sich im Darm aus und lockert den Schließmuskel. Es klingt, wie der Begriff für eine abartige Quarkspeise die seit Wochen offen in der Sonne steht. Es klingt, als bezeichne man einen ekelhaft schleimigen Schimmelpilz.

So gesehen, steht also mein Name dem Namen Ronny in nichts nach.

 

Und weil „Ronny“ für „Idiot“ steht, hatte der Säufer schnell seinen Namen weg. Wegen seiner roten Haare und dem wilden, roten Vollbart war auch der adjektivische Beiname schnell gefunden und die Alliteration verlieh dem Ganzen einen hübschen Klang. Immer noch besser als „Moorgou“.

 

Niemand wusste, wo der rote Ronny wirklich herkam. Einige Tage bevor er zum ersten Mal in der Kneipe aufkreuzte, sah ich ihn im Park hinter dem Supermarkt, da, wo die Eliteeinheit der Alkoholvernichtungsabteilung von morgens bis abends beflissen ihren Dienst ableistet.

Er stand bei den anderen Säufern mit einer Flasche Sternburg in der einen und einer Kunststofftüte in der anderen Hand. Der Nachschubbeutel. Wahrscheinlich gab er auch hier gerade seine Story vom Geschäftsmann und der thailändischen Ehefrau zum Besten.

Falls es stimmt, was er erzählte, bestätigt sich einmal mehr, was diese Kleinstadt ist. Ein schwarzes Loch, das dich an sich zieht, dich in sich saugt und schnell seine zerstörerischen Kräfte entfaltet. Ein menschenfeindlicher Sud ist diese Kleinstadt, der dir die Seele aus dem Leib ätzt und dein Herz vergiftet.. Und wo Seele und Herz waren, pflanzen dir die Klauen dieses Monsters eine Flasche Sternburg ein, oder eine Kanne Goldbrand oder eine Bahn billiges, gestrecktes Crystal.

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